Diese eine Woche im November (German Edition)
beiseite und trinkt sein Glas aus.
» Das ist echt merkwürdig. Er verreist sonst nie. Nicht freiwillig. Nur an die Nordsee. Immer derselbe grausige Campingplatz. Und plötzlich, aus heiterem Himmel: Wie wär’s mit Venedig, mein Mädchen? Mama war überraschter als ich. Mit ihr ist er nie nach Venedig gefahren. «
Tonio hat inzwischen gemerkt, dass Julia keine Ziege ist. Auch bei ihr liegen die Dinge komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint.
Schneller als erwartet zeigt sie auf die Digitaluhr hinterm Tresen. » Schon so spät? «
» Die Uhr geht vor. «
» Ich muss ins Hotel zurück. «
» Noch ein paar Minuten. Was macht das schon? «
Sie schmunzelt. » Bei Mister Hundertprozentverlässlich läuft das nicht mit eurem südländischen Zeitgefühl. Wenn ich heute zu spät komme, lässt er mich die ganze Woche abends nicht mehr raus. «
» Eine Woche bleibst du? «
Ihr entgeht die Hoffnung in seiner Frage nicht. » Genau. «
» Finde ich gut. Kurz, aber gut. «
» Wieso? « , fragt sie scheinheilig.
» Sehen wir uns wieder? « Es ist die kühnste Frage, die Tonio jemals gestellt hat.
» Immer langsam. « Ein Wimpernschlag. » Ich sitze hier aus reiner Höflichkeit mit dir . «
Grinsend rutscht er vom Hocker. » Klar. Und aus reiner Höflichkeit hast du die Zeit übersehen. «
Julia will zahlen. Tonio macht ihr klar, in Italien ist das noch immer Männersache.
» Beim nächsten Mal bin ich dran. « Das ist ihr rausgerutscht, aber Tonio macht es glücklich. Beim nächsten Mal. Wer hätte geahnt, welche Wendung dieser Abend nehmen würde? Als sie die Bar verlassen, berührt er ihren Arm. Sie zuckt nicht zurück. Auf dem Heimweg ist der Nebel genauso dicht. Nur das Schweigen ist nicht mehr zwischen ihnen.
Eine traurige Gestalt schleicht lautlos hinter ihnen her.
12
D as ist ein Ding. « Herbert geht im Zimmer auf und ab. » Die Tränen der Maddalena sind Teil eines größeren Ensembles? « Das Telefon am Ohr, schlägt er sein Notizheft auf.
» Stimmt genau. « Commissario Gianfranco sitzt im Büro. Es ist keine Seltenheit, dass er sich als Letzter in der Questura aufhält. Längst sind seine Mitarbeiter heimgegangen. Vor der Glaswand, die seinen Arbeitsplatz vom Großraumbüro trennt, beginnt der Putztrupp gerade mit der Arbeit.
» Du glaubst, der Raub in Düsseldorf war nur der Anfang? « Herbert schlüpft in seinen linken Schuh, nicht ganz einfach, ohne die Hände zu Hilfe zu nehmen.
» Certo. « Gianfranco ist der Stolz über seine Entdeckung anzuhören.
» Wo sind die anderen Teile dieses Schmuckes? «
» Ich weiß es nicht. Vielleicht sind sie über die ganze Welt verstreut. «
Herbert vergisst den zweiten Schuh und wendet sich zum Laptop. » Kannst du mir das Bild mal mailen? «
» Schon passiert. « Gianfranco drückt die Entertaste. Vor seinem Büro leert der Putzmann den Papierkorb. Lustlos kippt er den Inhalt in die schwarze Tüte und glotzt zum Commissario hinein. Der andere macht den Staubsauger bereit.
» Sekunde, Herbert. « Gianfranco läuft zur Tür. » Würden Sie mit dem Krach noch warten? « , sagt er freundlich. » Ich führe ein wichtiges Telefonat. «
Der Mann der Reinigungsfirma nickt. » Ich hab’s nicht eilig. «
» Danke. « Gianfranco kehrt ins Büro zurück. Die Tür bleibt angelehnt. » Hast du die Nachricht gekriegt? «
» Gerade jetzt, ja. « Herbert öffnet die Datei. Das Bild baut sich nur langsam auf. Ungeduldig trommelt er auf die Tischkante. » Mein Hotel hat einen miesen Netzanschluss. «
» Bei uns stammt alles aus dem Mittelalter. Auch das Internet. « Gianfranco lacht.
Herbert setzt die Brille auf. » Oh Mann, das ist … wunderschön. «
» Nicht wahr? «
Der Hauptkommissar betrachtet den Ausschnitt eines Ölgemäldes. Das Ding darauf sieht wie ein Kranz aus. In der Mitte eine gewölbte Scheibe, umgeben von Schlangenleibern. Als Krönung ein Diadem. Bis ins Detail gleicht es dem, das in Düsseldorf geraubt wurde.
Herbert wechselt das Telefon ans andere Ohr. » Das Bild ist nur ein Ausschnitt. Was ist auf dem restlichen Gemälde zu sehen? «
» Das wissen wir nicht. Es ist verschollen. Der Ausschnitt stammt aus dem Archiv vom Dogenpalast. Siehst du den Hermelinbesatz? «
Der Schlangenkranz steht aufgerichtet vor dem Bein einer abgebildeten Person. Ein Schnallenschuh mit Schnabelspitze. Ein roter Mantel, mit Hermelin verbrämt.
» Ja, seh ich. Was bedeutet das? «
» Der Auftraggeber des Bildes war ein Doge. Das Gemälde stammt aus
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