Diese eine Woche im November (German Edition)
lag. «
» Und? «
» Weggefahren. «
» Wohin? «
» Warum fragst du deine Angebetete nicht selbst? «
» Das tue ich. « Tonio springt auf. » Und zwar sofort. «
» Sollten wir nicht noch ein bisschen arbeiten? «
» Keine Zeit. « Er wischt sich über den Mund. » Ich weiß, Pippa, wie verrückt das alles klingt, aber ich muss sofort … «
» Zu deiner Schönen? « Sie lässt sich ihre Traurigkeit nicht anmerken. » Weshalb denn? «
» Weil irgendwas nicht stimmt. «
In diesem Moment tut er Pippa leid. Sie kennt das Gefühl, wenn man ständig an jemanden denken muss und einfach nicht davon loskommt.
» Polizei « , murmelt Tonio.
» Wo? « Reflexartig dreht sich Pippa um.
» Nicht hier. Julias Vater ist bei der deutschen Polizei. Vielleicht haben sie ihn … «
Er will los. Pippa hält ihn fest.
» Soll ich dich begleiten? «
Er weiß nicht, warum er so erleichtert ist.
»Danke. Komm. «
Während sie sich auf den Weg machen, hüpft eine Taube auf den Bordstein und pickt an den Pizzaresten.
16
R inaldo betreibt sein sonderbares Gewerbe schon lange. Doppelt so lang, als Tonio auf der Welt ist. Wer weiß noch von einer Zeit, als man auf dem Computerbildschirm von einem kleinen zuckenden Balken mit Doppelpunkt begrüßt wurde? Als man den Namen eines Programms eingeben, auf RETURN drücken und warten musste, bis es reagierte? Es war die Steinzeit der PC s, alles brummte und klapperte, der Rechner schluckte seine Bits und warf Zeichen auf den Bildschirm. Man musste die Befehle kennen, die den Computer zum Tanzen brachten. Die große schwere Kiste, der Zenith Z89, thronte auf dem Schreibtisch einiger weniger. Das Licht war grün, rechts ein Schlitz, in den man eine flatterige Foliendisc steckte. Eine neue Sprache war geboren. Wer sie beherrschte, befahl der Maschine.
Wer weiß von einer Zeit, als das weltweite Netz noch ARPANET hieß und militärischen Zwecken diente? Es wurde als postnukleare Kommunikationsmöglichkeit entwickelt, falls nach einem Atomkrieg herkömmliche Nachrichtenwege zerschlagen worden wären.
Das Netz und Rinaldo, sie sind miteinander groß geworden. Wenn er sich als einen der ersten Hacker bezeichnet, meint er damit, dass es Hacker waren, die das Internet entwickelt haben. Hacker sind dafür verantwortlich, dass das World Wide Web funktioniert. Hacker machten das System zu dem, was es heute ist.
Zu Beginn des Netzzeitalters sprachen Maschinen zu Maschinen, die vernetzt worden waren. Heute sprechen Menschen im Netz zu Menschen. Manchmal glauben sie auch nur, dass sie das tun. Die Menschen haben gelernt, jede vorstellbare Information in digitale Pakete zu schnüren und versandfähig zu machen. Die Frage ist, wie wir diese Möglichkeit benutzen. Rinaldo nutzt sie auf seine Weise. Die Macht des Netzes wuchs mit seinen Möglichkeiten. Rinaldos Macht wuchs mit der Macht des Netzes.
Dieser Planet ist krank. Während diejenigen, die eine Ware herstellen oder Dienstleistungen erbringen, immer tiefer in die Abhängigkeit von Kreditgebern geraten, also der Banken, triumphieren weltweit die Spekulanten. Was tut ein Spekulant? Ein Spekulant verschiebt Werte, die ihm nichts bedeuten, und profitiert davon. In seinen Augen sind die Werte imaginär, auch wenn sie irgendwo auf der Welt realen Arbeitseinsatz bedeuten, Ideen, Investitionen. Für den Spekulanten sind es Bauklötzchen, buntes Spielgeld. Das Auf und Ab der Märkte findet auf dem Rücken der Armen statt. Arme Länder, die vielleicht über Bodenschätze, aber keine Infrastruktur verfügen. Betriebe, die Infrastruktur haben, aber nicht genügend Bonität, um beim großen Wirtschaftsreigen mitzutanzen. Vereinfacht gesagt, werden die Reichen reicher und die Armen an den Rand gedrängt.
Das weltweite System des Abzockens um des Abzockens willen wird sich irgendwann von innen aushöhlen. Rinaldo hat sich die Aufgabe gestellt, diesen Prozess zu beschleunigen. Weil er das System bis ins Innerste kennt, bekämpft er es mit seinen eigenen Mitteln. Was den Spekulanten auf ihren großen Monitoren gezeigt wird, nehmen sie als Abbildung des wirklichen Lebens wahr. Das ist es nicht. Es ist digitalisierte Informationsmasse. Und die lässt sich manipulieren. Das ist Rinaldos Job, seine Lebensaufgabe. Er stiftet Verwirrung im Irrealen und verändert damit die Realität. Er streut falsche Gerüchte, fingiert Börsenverschiebungen, er platziert Scheingeschäfte und reißt die Spekulanten in den Strudel einer verlustreichen Transaktion mit hinein.
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