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Diese eine Woche im November (German Edition)

Diese eine Woche im November (German Edition)

Titel: Diese eine Woche im November (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wallner
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    Ein Arm streckt sich nach oben, Finger ertasten das Waschbecken, die Hand greift zu. Alle Kraft, alle Kraft, die geblieben ist. Wenn bloß das Becken nicht aus der Wand bricht, das gäbe eine Schweinerei.
    Das röchelt, das schwitzt am ganzen Körper. Das hängt schlaff über dem Becken, die Beine darunter sind nutzlos. Loslassen die eine Hand, lautet der Befehl. Die Hand vorsichtig heben, bis zum Griff des Spiegelschrankes. Rinaldo öffnet ihn, für den Moment überfällt ihn sein Spiegelbild. So kann er unmöglich aussehen. Augenringe violett, die Lippen blau. Die Halssehnen zum Zerreißen gespannt. Die Hand ertastet die Plastikverpackung. Zugreifen. Die Packung in der Hand, verliert er das Gleichgewicht. Lässt sich fallen. Er schlägt schwer auf und spürt es kaum. Da liegt Rinaldo, unter ihm fühlt es sich feucht an. Er hat sich den Schädel blutig geschlagen. Das kann man später beheben. Zuerst das Leben retten. Die Sinne verdunkeln sich. Das Entscheidende weiß und sieht er noch. Die Spritze, fertig aufgezogen, aseptisch verpackt. Wo er sie hineinstechen muss, ist klar. Rinaldo hat es geschafft, Rinaldo ist dem Tod zuvorgekommen. Er muss die Packung aufreißen. Die Packung aufreißen.
    Weshalb hat man seinen Lebensretter in unzerreißbares Plastik eingeschweißt? Wer denkt sich das aus? Hinweise, wo man das Ding öffnen soll, kann Rinaldo nicht mehr lesen. Er zerrt. Seine Finger suchen Einlass in das durchsichtige Gehäuse, das die Spritze umgibt. Sie bleibt versiegelt. Sie ist unerreichbar. Rinaldo spürt das Leben aus sich herausrinnen. Atmet er noch? Denkt er noch oder ist das die Ohnmacht, der Traum? Das Bewusstsein verlässt ihn. Die gewölbte Decke, der Spiegelschrank, die nutzlose Spritze. Sein Kopf sinkt zur Seite.

17

    D arf man reinkommen? « Stille. » Darf ich reinkommen, Rinaldo? «
    » Geh schon « , sagt eine Mädchenstimme.
    » Ich muss erst fragen. «
    » Und wenn er ausgegangen ist? «
    » Er verlässt das Hauptquartier nur nachts. «
    » Wir können nicht ewig im Fahrstuhl bleiben. « Pippa will vorbei.
    » Ich zuerst. « Tonio drückt gegen die Eisentür. » Rinaldo? « Sein Kopf taucht auf. » Merkwürdig. «
    Pippa wartet nicht länger. Oft ist sie an dem baufälligen Haus schon vorbeigekommen und wusste nicht, dass sich das Hauptquartier darin verbirgt. Sie hat es sich größer vorgestellt, geheimnisvoller. Bloß eine Halle aus Backstein, darüber eine Gewölbedecke, von der verrostete Ketten hängen. Ein weißes Sofa, eine Küchenzeile, Kunst an den Wänden. Pippa hat mit einer Kommandozentrale gerechnet, voll leuchtender Displays, Megacomputern, Schaltfeldern, etwas Großes, Beeindruckendes.
    » Wo sind denn die technischen … na, all die Sachen? «
    » Er hat es abgeschaltet. « Tonio geht weiter. » Rinaldo? «
    Eine halb gegessene Mahlzeit, Eiersalat, Speck auf Weißbrot. Die Bierflasche ist umgekippt, eine Lache auf dem Boden.
    » Die Bücher. « Er läuft hin. » Warum ist der Ständer umgefallen? «
    Pippa sieht es als Erste. Ein Hausschuh liegt auf der Schwelle. Ein ausgelatschter Pantoffel. Sie rennen hin und finden den Leblosen auf den Fliesen. Das Gesicht ist blau, die Lippen sind violett. Eine Blutlache unter seinem Kopf.
    » Er kriegt keine Luft. « Pippa legt die Finger auf seine Halsschlagader. » Kein Herzschlag. «
    Tonio entdeckt die Plastikpackung. » Er hat etwas nehmen wollen. « Mühelos reißt er das Spritzenset auf.
    » Lies, was draufsteht. « Pippa weiß nichts über Erste Hilfe oder nur, was man im Fernsehen sieht. Auf den Brustkorb drücken, Mund zu Mund beatmen. Diese Art von Hilfe scheint hier zu spät zu kommen. » Sag schon! «
    » Das ist Englisch. «
    Pippa liest – cardiac arrest. » Wir geben ihm die Spritze. «
    » Wohin? « Tonio ist durcheinander. Der Freund atmet nicht. » Vielleicht in die Vene. «
    Pippa macht die Plastikkappe ab. » Dafür ist die Nadel zu dick. «
    » Was dann … was denn? «
    » In den Muskel oder … « Sie betrachtet den Leblosen. » Ins Herz? «
    » Du bringst ihn um. « Tonio packt ihren Arm.
    » Er ist schon tot. Wenn wir warten, bis ein Arzt hier ist … « Sie sehen sich an.
    » Okay. « Tonio schluckt.
    » Machst du es? «
    » Nein, du « , antwortet er.
    » Mach sein Hemd auf. «
    Tonio entblößt Rinaldos Brust. Pippa versucht, das Geschriebene auf der Packung zu entziffern. Sie mag Englisch, hört die Sprache gern. Wieso hat sie im Unterricht nicht besser aufgepasst? Sie liest chest, sie liest

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