Diese eine Woche im November (German Edition)
sein Bein.
Einer der Männer reißt Tonio aus der Luke, der andere hält Julia in Schach. Sie hebt die Hände, tut nichts, was die Männer provozieren könnte. Tonio wehrt sich, schlägt um sich. Was richtet ein Junge ohne Schuhe gegen diese Leute aus?
Auf einem zerschossenen Bein kann man nicht stehen. Wie ein kaputter Campingstuhl sinkt Rinaldo auf die Seite. Die Axt entgleitet ihm. Er sieht die Männer kommen. Eigentlich müssten sie ihn töten. Er weiß mehr über die Trucidi, als ihnen lieb sein kann. Zwei Männer schultern ihre Waffe und ziehen ihn hoch. Sie zerren ihn zum Fahrstuhl, nicht brutal, nur zielbewusst.
» Bitte « , keucht Rinaldo und zeigt zum Couchtisch, wo das Nitroglycerin steht. » Meine Pillen. «
» Er braucht Medikamente! « , schreit Tonio, während sie ihm die Hände auf den Rücken binden.
Die Männer sind keine Apotheker, sondern Exekutoren. Doch wie es scheint, sind sie keine Killermaschinen. » Welche Medikamente? « , fragt einer.
» Auf dem Tisch. « Rinaldo krümmt sich. Sein Blick wird trüb. Er kriegt kaum noch Luft. Gerade so viel Luft, um einen Satz zu sagen: » Lassen Sie die Kinder in Ruhe. «
» Kinder? « Der Bewaffnete mustert Julia. Er betrachtet den Screen. Meterhoch erhebt er sich im Raum. 10 Ziffern leuchten in der Kopfzeile, 10 verräterische Ziffern.
» Sie wollten telefonieren? « , fragt der Bewaffnete.
Rinaldo schwinden die Sinne. Bewusstlos sackt er zwischen den Männern zusammen. Er gleitet durch die Dunkelheit hinüber, dorthin, wo nichts mehr ist.
32
P ippa erwacht als Erste. Sie springt auf. Springt vom Lager und steht da, mit verwuscheltem Haar. Sie begreift nicht das Geringste.
Pippa starrt auf die zerschlissene Matratze. Keine Decke, kein Kissen, zwei Körper. Er an ihrer Schulter, mit dem Gesicht nach unten, den Arm um ihre Taille gelegt. Julia schläft auf dem Rücken. Entspannt sieht das aus, als sei es vollkommen natürlich, die Nacht in einem kahlen Raum zu verbringen. Konnten sie wirklich schlafen, in ihrer Lage? Sie mussten schlafen, sie waren am Ende. Nur eine kurze Stunde ist vergangen, eine Stunde sind sie dem Wahnsinn und der Lebensgefahr entflohen.
Hier drin ist nichts. Keine Möbel, keine Fenster. Keine Regale, obwohl das ein Lagerraum sein könnte. In der Ecke zwei Eimer, einer ist mit Wasser gefüllt. In der Wand ein Viereck, hier war eine Tür. Man hat sie zugemauert. Wände und Boden aus Beton, Licht von der Decke. Es ist warm. So ungewöhnlich heiß, dass Pippa nur T-Shirt und Jeans trägt. Sie ist barfuß. Tonio benutzt das rote Sweatshirt als Kissen. Sein Oberkörper glänzt von Schweiß.
Sie saß in einem Boot, das weiß sie noch. Das war nach dem Kampf im Glockenturm, nach dem Faustschlag, der sie ausschaltete. Als sie erwachte, waren ihre Augen zugebunden. Man sagte ihr, sie solle die Klappe halten. Sie saß auf einem Schiff, irgendwo unter Deck. Wellen schlugen gegen die Planken. Dann befahl man ihr, zu telefonieren. Man sagte ihr jedes Wort vor. Pippa gehorchte aus Angst und ahnte zugleich, mit diesem Anruf lieferte sie ihre Freunde ans Messer. Danach wartete sie wieder eine ganze Weile.
Eine Klappe ging auf. Tonios Stimme, das Wimmern eines Mädchens, Julia.
» So viele Gefangene? « , fragte einer von draußen. » Ich bin doch kein Taxiunternehmen. «
Jemand wurde zu Pippa unter Deck gebracht. » Der blutet ja « , sagte einer. » Der blutet mir die ganze Polsterung voll. «
» Halt’s Maul und leg ab « , sagte ein anderer Mann. Die Luke wurde geschlossen. Pippa ertastete einen Körper, langes Haar, eine Wunde an der Schulter.
» Rinaldo? « , flüsterte sie. Man befahl ihr, sich zu setzen. Das Boot nahm Fahrt auf und wurde schneller. Sie mussten auf offenem Wasser sein.
Das Motorgeräusch, der Wellenschlag, Pippa war wohl eingenickt. Beim Erwachen merkte sie, dass sie getragen wurde. Sie wehrte sich. Man schleifte sie weiter. Ein Höllengeräusch erschreckte sie. Ein unbekanntes Brüllen, kein Mensch, kein Motor, etwas Großes. Sie fühlte Hitze, gleich darauf warf man sie zu Boden. Sie ertastete Schaumstoff. Zwei Körper fielen auf sie drauf. Pippa roch Tonio. Es wurde still. Sie zerrte die Augenbinde von ihrem Kopf. Als es Licht wurde, schaute sie in die Gesichter der anderen.
Es hätte viel zu sagen gegeben und viel zu klagen. Doch als ob ein Spuk auf ihnen läge, schwiegen sie, saßen nur da. Unternahmen nichts, kein tapferes Geschwätz, wie man sich befreien könnte. Zwei Mädchen und ein Junge saßen
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