Diese eine Woche im November (German Edition)
auf der Matratze, als ob sie von dieser Insel nie wieder wegwollten.
» Ich bin schuld « , sagte Pippa irgendwann.
» Rinaldo ist verletzt « , sagte Tonio.
» Wo ist mein Vater? « , fragte Julia.
Drei in dem kahlen Raum. Sie verstanden nicht, wieso und für wie lange. Sie fürchteten den Tod. Julia weinte. Tonio nahm sie in den Arm. Pippa rückte an die äußerste Ecke der Insel. Irgendwann war es mit ihrer Kraft vorbei. Sie schliefen ein.
Pippa läuft ans andere Ende und erleichtert sich in den Eimer. Sie hört Julia erwachen. Das blonde Mädchen rekelt sich wie eine Schlange. Sie hat trainierte Beine, schmale Hüften, sie hat einen niedlichen Nabel. Bevor sie die Wirklichkeit begreift, lächelt sie. Schon zittern ihre Lippen, das Gesicht wird grau. » Oh nein « , hört Pippa sie flüstern.
» Zeit für’s Frühstück. « Sie steht vom Eimer auf. » Hast du auch Hunger? «
Die andere betrachtet den halb nackten Jungen neben sich. Er rührt sich nicht.
» He. « Julia schüttelt ihn.
» Du kannst eine Kanone neben ihm abfeuern. « Pippa kommt näher. » Wenn er schläft, schläft er. «
» Wo sind wir? «
» Nicht in Venedig. Auf dem Festland. «
» Woher weißt du das? «
» Das rieche ich. Hier ist kein Wasser in der Nähe. «
» Wieso ist es so heiß? «
Pippa zeigt zur Wand. » Kommt von dahinten. Vielleicht ist dort ein Heizraum. «
» Gibt es eine Tür? «
» Hinter der Ecke. «
Julia bindet ihr Haar zusammen. » Was sollen wir tun? «
» Warten. «
Das Gesicht der Blonden wird hart. » Bis sie uns umbringen? «
Pippa schließt den Hosenknopf. » Vielleicht. «
» Hätten sie das nicht längst getan? «
» Was fragst du mich! « , entgegnet Pippa. » Ich weiß nicht mal, warum das alles passiert! Sag du’s mir, du bist die Polizistentochter! «
Es ist sinnlos, Julia anzubrüllen. Trotzdem tut es gut. Man muss sich auskotzen, warum nicht bei ihr? Hätte Tonio sich nicht an die Deutsche drangehängt wie eine Klette, nichts von alledem wäre passiert.
Julia lässt sich auf den Ellbogen sinken. » Gibt es wirklich Frühstück? «
» Nein. Es ist nichts da. «
» Sie werden uns also nicht lange hierbehalten. «
» Es kann auch was ganz anderes bedeuten. « Pippa kehrt auf ihre Ecke der Matratze zurück.
» Soll ich ihn wecken? «
» Lass ihn lieber schlafen. «
Ein schmales Lächeln Julias. » Er ist merkwürdig, oder? Ein seltsamer Junge. «
» Nicht seltsamer als jeder, der keine Eltern hat. «
» Das hat er mir erzählt. « Sie streicht über sein Haar. » Ich habe Eltern. Und fühle mich trotzdem verkorkst. – Und du? «
Pippa zuckt die Schultern. Was wird das, Teeniegeplauder? So vertraut sind sie nicht miteinander. » Ich lebe bei meinem Onkel « , antwortet sie nach einer Weile.
Julia streichelt Tonios Kopf. » Was habt ihr zwei miteinander? «
» Wir? « Pippa überlegt. Bestimmt hat Tonio seiner Flamme verschwiegen, dass sie Diebe sind und zusammen Beute machen. » Wir sind Freunde. «
» Und Rinaldo? «
» Ist Tonios Lehrer. «
» Wer ist Tonios Lehrer? « , hören sie von der Matratze.
Julia hebt Tonios Kopf in ihren Schoß. » Hey, du bist ja wach. «
Er schlägt die Augen auf. Einen himmlischeren Anblick kann man sich nicht wünschen. Das schöne Mädchen, ihre ernsten und zärtlichen Augen, die nackten Schultern. Eine Strähne fällt ihr in die Stirn. Sie beugt sich zu ihm und küsst ihn. » Unsere Lage hat sich nicht verbessert. «
Tonio streicht ihr das Haar hinters Ohr, zieht Julia zu sich und küsst sie lange.
Da ist das Höllengeräusch wieder. Es war immer da, auch während sie schliefen, es kam und ging, jetzt ist es laut, bedrohlich und nah. Tonio schüttelt den letzten Rest Schlaf ab und setzt sich auf.
» Was ist das? «
Noch einmal brüllt es, tief und durchdringend. Als ob ein Tier von der Größe eines Hauses den Himmel anschreit.
» Eine Maschine « , sagt Julia.
» Ein Fahrzeug. «
» Aber es fährt nirgendwohin. «
» Woher kommt die Hitze? « Pippa schlingt die Arme um ihre Knie. Dass sie einem unbekannten Feind hilflos ausgeliefert sind, dass sie den Tag möglicherweise nicht überleben werden, ist eine Sache. Dass Pippa die Liebe der beiden mit ansehen muss, wiegt fast noch schwerer. Mitten im Unglück genießt Tonio sein Glück ganz ohne Scheu. Gerade weil die Dinge sind, wie sie sind, legen die zwei ihre Reserviertheit ab, am Punkt des tiefsten Schreckens finden sie zueinander. Tonio hat nicht den Schimmer einer Ahnung, dass
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