Diese eine Woche im November (German Edition)
er Pippa damit wehtut.
Sie springt auf. Täuscht Aktivität vor, um sich dem Liebesgeplänkel zu entziehen. » Diese Tür ist seit Langem zugemauert, dort können sie uns also nicht hereingebracht haben. « Pippa läuft zur Ecke. » Die hier ist abgesperrt. Das Schloss kommt mir nicht besonders solide vor. «
Wieder das Geräusch. Das Brüllen ertönt dicht hinter der Wand.
Tonio steht auf. » Hört sich wie eine Heizungsanlage an. «
» Das müsste eine Megaheizung sein. «
Er legt die Hände an die Wand. Die Ader an seinem Hals pocht. » Ziemlich warm. «
» Dahinter ist etwas Großes, was Feuer spuckt. «
» Du meinst, da haust ein Drache? « Er grinst.
Das Lächeln tiefer Freundschaft. Das Lächeln der Vertrautheit. Ihre Gesichter sind sich nah.
» Ein Drache, klar « , nickt Pippa.
Er dreht sich zu Julia. » Hörst du, wir werden von einem Drachen bewacht. « Tonio prüft das Schloss. » Dafür brauchst du nicht mal einen Schlüssel. Das ist nur ein Riegel. Leider auf der anderen Seite. «
Pippa kniet sich vor den Türschlitz. » Ein Messer wäre gut. «
» Warum nicht gleich ein Brecheisen? « Er knufft sie in die Seite. » Sie haben uns alles abgenommen. «
Sie springt auf. » Sehen wir trotzdem in unseren Taschen nach. «
In den Taschen ist nichts. Nichts im gesamten Raum. Der Raum, in dem sie sind, ist ein perfektes Gefängnis.
» Wie spät ist es – Mittag? «
» So lange haben wir unmöglich geschlafen. «
» Woher willst du das wissen? « Julia lehnt an der Wand. » Du weißt, dass wir auf dem Festland sind. Du weißt, dass wir nicht lange geschlafen haben, woher? «
Tonio lässt sich auf die Matratze gleiten. » Festland dürfte stimmen. Wir waren eine ganze Weile unterwegs. « Er nimmt Julias Hand. » Wenn wir nicht im Kreis gefahren sind, könnten wir auf der Höhe von Jesolo sein. Oder – « Er sieht Pippa an.
» Oder im Süden. Irgendwo bei Chioggia. « Sie kniet sich vor ihn. » Weißt du noch? Rinaldo hat die früheren Besitzungen der Cornianis gecheckt. Da gab es auch ein Landhaus in Chioggia. «
» Und die Insel Albarella … liegt unmittelbar hinter Chioggia « , antwortet er aufgeregt.
» Das muss es sein! «
» Bloß hilft uns das nicht « , sagt Julia. » Weil wir es niemandem erzählen können. «
Pippa setzt sich. Sie starren vor sich hin. Das gleichmäßige Licht, die Leere des Raumes machen den Stillstand greifbar. Die drei schweigen, bis Julia es nicht mehr aushält.
» Was ist mit meinem Vater geschehen? «
» Sie haben ihn eingesperrt, so wie uns « , antwortet Tonio.
» Weshalb ist er dann nicht hier? «
» Vielleicht, weil … « Es gibt darauf keine tröstliche Antwort.
» Weil er schon tot ist « , sagt sie fast lautlos.
Er nimmt sie in den Arm.
» Glaubst du, die kümmern sich um Rinaldo? « Pippa kaut auf der Haut an ihrem Daumen.
» Bestimmt. Um ihn sterben zu lassen, hätten sie ihn nicht aufs Boot bringen müssen. «
Plötzlich schüttelt ein Weinkrampf Julias Körper. » Papa und ich wollten zusammen Pizza essen. Er bestellt immer Thunfisch, jedes Mal. Dann pult er die Zwiebeln heraus, jedes einzelne Zwiebelchen « , sagt sie unter Schluchzern. » Das dauert so lange, bis die Pizza kalt ist. «
» Warum bestellt er nicht Thunfisch ohne Zwiebeln? « Zärtlich gleitet Tonios Hand über ihren Nacken.
Hinter der Wand ertönt das Brüllen.
» Ich wollte nie so werden wie meine Eltern « , sagt Julia. » Herbert ist ein Kontrollfreak. Er kann nicht lockerlassen. Und was noch schlimmer ist, er trägt weiße Socken. Mama war meistens unzufrieden mit ihrem Leben und hat rumgemeckert. Es ist mir schleierhaft, wie sich die beiden überhaupt verlieben konnten. « Sie holt tief Atem. Das Weinen verfliegt. » Ich habe nur noch die Tage gezählt, bis ich endlich ausziehen kann. Und jetzt – « Sie wischt sich über die Augen. » Wünsche ich mir nichts mehr, als mit meinem Papa Thunfischpizza zu essen. «
» Wenigstens hast du Eltern. « Tonio klemmt sich das rote Hemd in den Rücken. » Ich habe nur die Erinnerung an einen Säufer, der mich nach Strich und Faden beklaut hat. «
» Weißt du nichts von deiner Mutter? «
» Sie war sehr hübsch. Sie hatte gewelltes Haar. Wir hatten einen Garten. Meine Mutter zog ihre Tomaten selbst. Ich sehe noch, wie sie die roten Früchte pflückt. Sie schält sie und macht eine scharfe Soße daraus. «
Pippa betrachtet Tonio mit wehem Lächeln. Er erzählt von jemandem, der nicht existiert. Er erzählt von der
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