Diese eine Woche im November (German Edition)
still sein « , sagt der andere Mann.
Sein Kollege rückt Pippa ein wenig von sich ab. Er präpariert sie. Knock-out ist seine Spezialität. Einfach ins Gesicht schlagen kann jeder. Auf Präzision kommt es an. Er führt seine Faust punktgenau auf Pippas Kinn. Sie sieht es kommen. Der Schlag, der Blitz, die Dunkelheit. Zufrieden registriert der Schläger, dass die Glieder des Mädchens schlaff werden. Das Handy entgleitet ihr. Der andere hebt es auf.
31
R inaldo legt das Handtuch über die Heizung. » Warum ich nicht die Polizei rufe? Gegen wen soll sie fahnden, hast du dir das überlegt? «
» Gegen die Trucidi « , erwidert Julia nervös.
» Eine Organisation namens Trucidi existiert seit 300 Jahren nicht mehr. Niemand hat sie gesehen, niemand weiß, wer sie sind. «
» Ich habe sie gesehen! «
» Du hast einen Maskierten in einer Gondel gesehen. An einem Ort, der mittlerweile versunken ist. «
» Und der Kerl mit den schwarzen Handschuhen? Ich kenne sein Gesicht. «
» Ich kenne sogar seinen Namen. Sandro Lissere, ein schwerer Junge. Raubüberfälle, Totschlag. Vor drei Jahren wurde er aus dem Gefängnis entlassen. Ist seither untergetaucht. «
Rinaldo öffnet die Website der Carabinieri. Das Gesicht des Schwarzhaarigen taucht auf, frontal und im Profil.
» Das ist er. « Tonio springt hoch. Nachdem er zurückgekommen war, hat er eine Cola aus dem Kühlschrank genommen und sich aufs Sofa gesetzt.
» Worauf warten wir dann noch? « , ruft Julia.
» Auf einen konkreten Hinweis. « Rinaldo sieht den Jungen an. » Erzähl mir noch einmal, was da Silva sagte. «
» Er hat Angst um seine Familie. «
» Um dir das mitzuteilen, hätte er dich nicht zu treffen brauchen. «
» Sie haben ihre Leute überall, sagte er und: Wir sind im Land der Mafia. «
» Hat die Mafia etwa damit zu tun? « , fragt Julia.
» Die Mafia hat eine lange Tradition in der italienischen Geschichte. Ihre Ursprünge liegen nicht im Verbrechen, sondern in der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung während der Revolution. Der Staat hat sie lange gewähren lassen, trotz der Gewalt. « Rinaldo schüttelt den Kopf. » Aber die Trucidi und die Mafia, das passt nicht zusammen. «
Tonio fährt sich über die Augen. Die Müdigkeit sitzt ihm in allen Knochen. » Heute soll die Sache passieren, sagte da Silva. Und niemand hätte davon eine Ahnung. «
» Sache, welche Sache? « Julia fixiert ihn. » Das ist zu dünn! Damit kann man wirklich nichts anfangen. «
Seit Tonio zurück ist, wirkt Julia verändert. Sie ist wieder das kühle zurückhaltende Mädchen. Sie will Fakten, will zupacken. Kein Blick, kein Zeichen versichert Tonio, dass zwischen ihnen jetzt alles anders ist.
Sein Handy klingelt. Er betrachtet das Display. » Es ist Pippa. « Unsicher sieht er den Weißhaarigen an.
» Frag sie, wo sie bleibt. « Rinaldo nimmt vor dem Screen Aufstellung. » Welcher Tag ist heute? «
» Der Achtzehnte « , antwortet Julia.
» Wo bleibst du denn? « , sagt Tonio ins Telefon. » Ich bin längst im Hauptquartier. «
» Bin noch unterwegs « , antwortet Pippa mit leiser Stimme.
» Sprich lauter. Ich kann dich kaum hören. «
Ein Seufzen. » Ich weiß … wo da Silva hingegangen ist. «
Das Tablet in der Rechten, tippt Rinaldo mit der linken Hand. » Achtzehnter November. « Das Datum erscheint in allen möglichen Zusammenhängen. Bald erfüllt der 18.11. den ganzen Screen.
» Pippa weiß, wo da Silva ist «, sagt Tonio.
» Da Silva ist nicht mehr wichtig. « Rinaldo starrt auf den Screen. » Gott, das … kann kein Zufall sein. «
» Was? « Julia versucht, an den Zahlen etwas abzulesen.
» Komm zurück « , sagt Tonio. » So schnell du kannst. « Er legt auf und schaut zum Screen hoch. » Was steht da? «
Rinaldo zieht eine alte Zeitungsmeldung in den Vordergrund. » Der 18. November vor 100 Jahren war der Tag der schlimmsten Schande für die Familie Corniani. «
» Was ist passiert? « Julia ist zu nervös zum Lesen.
» Marcantonio, das Familienoberhaupt, wurde festgenommen. Man klagte ihn der Selbstjustiz an. Obwohl die Trucidi damals schon lange verboten waren, hat er sich als Richter über Leben und Tod aufgespielt. Er soll Menschen gefoltert haben. Wäre es zum Prozess gekommen, hätte man ihn zum Tod verurteilt. Aber Corniani bestach seine Wächter und floh. Die Familie ging ins Ausland. Marcantonios Spur verlor sich in Manila, wo er angeblich Selbstmord beging. In Venedig wurden die Cornianis in Acht und Bann geschlagen.
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