Diese Nacht darf niemals enden
Selbstdarstellern. In dieser Art Lokal würde sie nicht einen Penny ausgeben, selbst wenn sie die Tausende von Pennys besäße, die ein Mahl hier vermutlich kostete. Es war gekünstelt und oberflächlich.
Ob ihr mögliches Modell auch so war? Kurz ließ sie den Blick über die Menge schweifen und suchte nach einem Mann, zu dem Imogens begeisterte Beschreibung passen könnte. Kandidaten gab es hier genug. Hätte Ego Gewicht, könnte man mit der hier angesammelten Masse die Titanic versenken.
„Monsieur de Rochemont?“
Die Frau war stehen geblieben. Der Rest von dem, was sie sonst noch sagte, ging in einem schnell gesprochenen Französisch unter, dem Alexa nicht folgen konnte. Sie sah nur den Rücken des Angesprochenen – und selbst diesen nur halb verdeckt. Aber sie nahm das knappe Nicken des Mannes wahr, und so ging sie zum anderen Ende des Tischs und setzte sich, ohne auf eine Einladung zu warten.
„Guten Abend“, sagte sie geschäftsmäßig und hantierte erst mit ihrer Handtasche, um sie abzustellen, bevor sie den Blick zu ihrem Gegenüber hob.
Ob man es wohl hörte, wenn einem der Unterkiefer herunterfiel? fragte Alexa sich. Ihr Verstand war plötzlich wie gelähmt. Nur ein Gedanke stach aus dem Nebel hervor: Oh, Gott, Imogen hat recht gehabt!
Denn ob sie es nun zugeben wollte oder nicht, Guy de Rochemont war … nun, er war … Sie suchte nach Worten in ihrem verwirrten Hirn und fand keine. Visuelle Eindrücke stürzten auf sie ein – und noch mehr. Guy de Rochemont rührte an Stellen, die mehr als nur visuell waren.
Er fuhr einem direkt in die Eingeweide.
Wie war es möglich, dass die bloße Zusammensetzung von Zügen, mit denen jeder Mensch ausgestattet war, eine derart unterschiedliche Wirkung ausübte? Wie konnte das Arrangement von Augen, Nase und Mund so … so absolut … aussehen?
Ihr Blick glitt über sein Gesicht, nahm sowohl das Ganze als auch Details auf: die markanten Gesichtszüge, die schräg gestellten Augenbrauen, die schmale, gerade Nase, die fein geschwungenen Lippen, das ausgeprägte Kinn und das sandfarbene, perfekt geschnittene Haar. Sie trank dieses Gesicht geradezu in sich hinein, unfähig, etwas anderes zu tun, als sich dessen Wirkung zu ergeben. Nur unscharf registrierte sie, dass er sich halb erhoben und gleich wieder hingesetzt hatte, als sie auf dem Cocktailsessel Platz nahm. Eher mit dem Bauch als mit dem Kopf registrierte sie, wie elegant-lässig er dort saß – die langen Beine übereinandergeschlagen, einen Arm auf die runde Lehne gelegt, entspannt und völlig im Reinen mit sich selbst.
Das ist es – die Pose, schoss es ihr in den Kopf. Sie fühlte, dass sie recht hatte. Die reale Welt hatte sich zur Perfektion arrangiert, bereit, sich von ihr auf Leinwand bannen zu lassen.
Sie kniff leicht die Augen zusammen. Ihr Verstand verarbeitete die Informationen, die ihre Augen weiterleiteten. Die vertraute Aufregung erfüllte sie. Sie kannte dieses Gefühl während der Vorbereitung, doch das hier war anders, viel intensiver …
Es war anders, weil sie noch nie zuvor so reagiert hatte. Vorerst schob sie den Gedanken beiseite. Darüber würde sie später nachdenken. Im Moment musste sie dieses außergewöhnliche Gesicht genauestens mustern.
Von irgendwoher zwang das Bewusstsein sich in den Vordergrund, ein Bewusstsein für das, was sie hier tat: Sie starrte stumm einen Mann an, der ihr gegenübersaß und zuließ, dass sie ihn anstarrte.
Mit dem Bewusstsein kam auch die Verlegenheit. Alexa presste die Lippen zusammen, blinzelte und zwang sich, ein Gefühl für die Wirklichkeit wiederzuerlangen. Das fiel ihr jedoch enorm schwer, da sie nichts anderes tun wollte, als ihn anzustarren.
Welche Farbe hatten seine Augen?
Die Frage blitzte vor ihr auf, und ihr wurde klar, dass sie sie nicht beantworten konnte. Panik stieg in ihr auf. Ihr Blick hatte eine eigene Vorstellung, wollte zurückkehren zu diesem Gesicht und sich um nichts anderes kümmern. Aber das war lächerlich, absolut absurd und zudem peinlich.
Mit aller Macht riss sie sich zusammen und setzte ein höfliches, geschäftsmäßiges Lächeln auf. „Soweit ich verstanden habe, denken Sie darüber nach, ein Portrait von sich malen zu lassen.“
Guy de Rochemont antwortete nicht gleich. Er behielt seine Pose bei, als würde sie ihn noch immer mustern. Es schien ihn nicht gestört zu haben, und für einen Moment fragte sich Alexa, wie lange – oder wie kurz – sie ihn angestarrt haben mochte.
Dann verzog er die
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