Diese Sehnsucht in meinem Herzen
ihm auch war, er hatte ihr nie die Wahrheit über seine Vergangenheit erzählt. Nicht etwa deswegen, weil er Josey nicht vertraute – außer Derek gab es niemanden, dem er mehr vertraute als ihr. Aber er wollte nicht, dass sie erkannte, was die Gewalttätigkeit seines Vaters mit seiner Seele angerichtet hatte. Josey war ein guter Mensch, und das wollte er selbst in ihren Augen auch sein. Also hatte er ihr erzählt, dass seine Eltern beide tot waren. Und im Grunde hatte er damit nicht mal richtig gelogen, schließlich war sein Vater für ihn tatsächlich gestorben.
Plötzlich summte die Sprechanlage, und Nate fuhr auf. Dann drückte er einen kleinen roten Knopf. „Ja, Lauren?“
Die fröhliche Stimme seiner Sekretärin erfüllte den Raum. „Josey auf Leitung eins für Sie, Nate.“
Oje. Die Verabredung! Bestimmt wollte sie ihm davon erzählen. Nate zögerte.
Vielleicht sollte er sich einfach von Lauren verleugnen lassen, im Moment war er wirklich nicht in der Stimmung, mit Josey darüber zu reden.
Andererseits… verhielt er sich da nicht gerade ziemlich egoistisch? Vielleicht war die Verabredung ja ganz schrecklich gewesen, und Josey brauchte nun einen Freund, dem sie davon erzählen konnte. Er könnte sie ja für heute Abend zu sich einladen und bei einer großen Portion Eiscreme ein bisschen aufbauen. Dann würde er ihre Hand nehmen, so wie sie das gestern bei ihm getan hatte. Nate wusste, dass Josey ihn damit nur hatte beruhigen wollen, und es hatte auch gewirkt – bloß nicht so, wie sie das höchstwahrscheinlich beabsichtigt hatte. Als er nämlich ihre zarte Hand in seiner gespürt hatte, waren tatsächlich alle unangenehmen Gedanken auf einen Schlag verschwunden, stattdessen hatte er nur noch daran gedacht, wie…
Erneut ließ das Summen der Sprechanlage Nate zusammenzucken. „Nate?“
meldete sich Lauren wieder zu Wort. „Soll Josey später noch einmal anrufen?“
„Nein“, erwiderte er endlich. „Nein, stellen Sie sie zu mir durch. Danke, Lauren.“
Dann nahm er den Hörer und drückte ihn ans Ohr. „Josey?“ begrüßte er sie mit sanfter Stimme und stellte sich auf die Horrorgeschichte ihrer gestrigen Verabredung ein.
„Hi, Nate!“ Seltsamerweise klang Josey gar nicht niedergeschlagen, sondern eher so, als hätte sie den Jackpot im Lotto geknackt. „Darf ich dich mal kurz stören?“
„Na ja, ich…“
„Ja, ich weiß, dass du viel zu tun hast, tut mir Leid. Aber ich wollte anrufen, solange meine Schüler noch in der Pause sind. Hast du heute nach der Arbeit vielleicht Zeit für einen Drink?“
„Hm, ich weiß noch nicht genau, wann ich hier rauskomme“, erwiderte Nate und fügte dann hinzu: „Warum? Hast du vielleicht… etwas auf dem Herzen?“ Warum klang er eigentlich so hoffnungsvoll, als er das fragte? „Wie war denn deine…“
„Meine Verabredung? Der Abend war einfach toll. Du musst Matt unbedingt kennen lernen. Am besten heute.“
Josey saß in der angesagten Bar mitten in der Innenstadt und ließ den Blick über die schicken, fröhlichen Menschen um sich herum gleiten. Draußen war es noch nicht dunkel, trotzdem war hier schon einiges los. Aus dem Augenwinkel bekam sie mit, wie die Eingangstür aufging. Josey drehte den Kopf und erblickte Nate.
Erleichtert atmete sie auf, und ihr wurde klar, dass er derjenige war, nach dem sie Ausschau gehalten hatte – nicht Matt.
Sie winkte ihm dezent zu, da hatte er sie auch schon erblickt.
„Hi“, rief Josey und steckte sich einen Zeigefinger ins Ohr. Die Musik war laut und die Bässe geradezu spürbar. Mit der anderen Hand griff Josey nach Nates konservativem dunkelblauem Schlips. „He, nicht so streng. Das soll doch ein lustiger Abend werden.“
„Das wird’s auch bestimmt“, erwiderte Nate und lächelte etwas schief. „Wo ist eigentlich Mike? Hat er sich etwa verspätet? Dann ist er schon durchgefallen.
Jemanden, der dich schon beim zweiten Date warten lässt, kannst du nun wirklich nicht brauchen.“
„Du liebe Güte, Nate, der Mann heißt Matt! Das machst du doch mit Absicht, kein Anwalt kann sich ein so schlechtes Gedächtnis leisten. Und außerdem müssen ja nicht alle so überpünktlich sein wie du – es ist erst eine Minute nach sechs. Wie sehe ich übrigens aus?“ Josey sprang vom Barhocker und strich sich den kurzen schwarzen Rock glatt. Dann zupfte sie am Saum ihres glänzenden lindgrünen Oberteils. Als Nate immer noch nichts sagte, zog sie eine Grimasse: „Ach, bitte, Nate, erzähl mir mehr.
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