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sich seit Jahrhunderten ineinander verknallt haben, beim Online-Dating erst mal keine Rolle: Geruch, Augenkontakt, Mimik.
»Die Ordnung, in der romantische Interaktionen traditionellerweise vollzogen wurden, hat eine Umkehrung erfahren«, schreibt Eva Illouz in ihrem Buch »Gefühle in Zeiten des Kapitalismus«. »Wo Anziehung normalerweise dem Wissen vom anderen vorausgeht, geht hier Wissen der Anziehung oder zumindest der physischen Präsenz und Verkörperung romantischer Interaktion voraus.«
Sich »vernünftig« zu verlieben heißt in der Logik der Partnerbörsen, die Person zu wählen, bei der die Chancen auf eine lange, stabile Beziehung am höchsten sind. Die Kompatibilität wird über einen Test ermittelt, in dem Persönlichkeitsmerkmale, Vorlieben, Werte und Interessen abgefragt werden. Das sich daraus ergebene Profil wird dann mit den Profilen anderer Mitglieder abgeglichen, ein Algorithmus errechnet die am besten passenden Partner. Ausdruck der Passgenauigkeit ist die Matchingzahl, so etwas wie der Heilige Gral einer jeden Partnerbörse.
Bei Parship gibt es Matchingpunkte bis 140, alles ab siebzig Punkten gilt als vielversprechend für eine mögliche Beziehung. Ein interessanter Kniff des Unternehmens, die Obergrenze bei 140 anzusetzen, und nicht etwa, was näher liegen würde, bei 100: Intuitiv fühlt sich eine Punktzahl von siebzig oder achtzig gut an, obwohl es ja bei 140 möglichen Punkten eine vergleichsweise niedrige Zahl ist.
Frank und Anna haben 76 Punkte 6 , das ist nicht berauschend. Doch für Frank sagt etwas anderes noch mehr aus, ob eine Frau zu ihm passt, als diese Zahl: die Kategorie Musikgeschmack. Wenn da etwas von Musicals steht, würde er sofort die Nächste anklicken. »Es gab die üblichen Auswahlmöglichkeiten Rock, Pop, Jazz, aber man konnte auch etwas Eigenes dazuschreiben. Anna hatte Electro angegeben. Mit c. Man sah, dass für sie die üblichen Kategorien nicht passten, es schien ihr wichtig, das klarzustellen. Das gefiel mir. Und den Schreibfehler fand ich charmant.«
Er schreibt ihr über das Kontaktformular bei Parship. In den folgenden Wochen überwinden Anna und Frank die drei Schwellen, die in Dating-Ratgebern als kritische Punkte bezeichnet werden – den Wechsel von einem Kommunikationsmedium zum anderen. Von Nachrichten via Parship auf Nachrichten an die persönliche E-Mail-Adresse. Von E-Mail auf Telefon. Von Telefon zum richtigen Treffen. Jede dieser Schwellen – so wissen Dating-Experten – birgt die Gefahr, dass einer von beiden abspringt.
Es gibt sogar Ratgeber für den Umgang mit dem Stimmenschock, also wenn man den anderen zum ersten Mal am Telefon hört, oder dem Fotoschock, wenn man die Person schließlich trifft und sie nicht wie auf dem Foto aussieht. Frank und Anna brauchen keinen Ratgeber. Nach drei Wochen treffen sie sich bei einem Italiener in Friedrichshain. Bis dahin hat Frank nur die drei Bilder gesehen, die Anna in ihrem Profil angegeben hat: »Auf jedem sah sie komplett anders aus – ich hatte keine Ahnung, was mich erwartet.«
Schon am ersten Abend stellt sich heraus, dass beide in ihren Profilen ein wenig gelogen haben. Frank ist zu dieser Zeit noch »technischer Leiter« der Internetseite des Verlages, befördert wird er erst später. Aber er wollte sich ungern so bezeichnen (»das klingt nach Hausmeister«), also gab er Projektmanager an. Er fand, das machte irgendwie mehr her. Anna hat ihre Figur mit den Worten »schlank mit weiblichen Rundungen« umschrieben. Frank grinst. »Ich würde sie nicht als total schlank bezeichnen, aber ich fand es okay, dass sie ein wenig geschummelt hat.«
Frank und Anna taten das, was laut einer Studie der Kommunikationswissenschaftlerin Catalina L. Toma von der Universität von Wisconsin-Madison 81 Prozent aller Online-Dater machen: Sie schwindelten. Frauen machen sich im Schnitt 4,2 Kilo leichter, Männer geben an, zwei Zentimeter größer zu sein, als sie in Wahrheit sind 7 . In einer anderen Studie fand die Professorin heraus, dass die Profilbilder von Frauen im Schnitt eineinhalb Jahre alt sind, die von Männern nur ein halbes Jahr. »Die Online-Dater versuchen, die Erwartungen, von denen sie glauben, dass andere sie an sie stellen, zu antizipieren und zu erfüllen«, sagt die Kommunikationswissenschaftlerin Toma.
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