Diesen Sommer bin ich dein
aus.
Aber an diesem
Abend fuhr sie mit dem Earl und Wilma in der Stadtkutsche des Earls of Sutton. Sie
waren auf Einladung von Lord Farrington auf dem Weg ins Theater, um sich eine
Vorstellung von Shakespeares König Lear anzusehen. Viscount Ravensberg sollte
auch dabei sein.
»Du musst dich
zwischen Sutton und mich setzen, wenn wir ankommen, Lauren«, wies sie Wilma
nicht zum ersten Mal an, als die Kutsche vor den Eingangstüren des Theaters hinter
zwei weiteren anhielt.
Wilma war fest entschlossen
gewesen, die Einladung nicht anzunehmen, und hatte in ihrem Verlobten einen
starken Verbündeten gehabt. Aber Lauren hatte vor zwei Wochen eine neue Seite
an sich entdeckt - eine eigensinnige Abneigung dagegen, ihre Handlungen
von anderen bestimmen zu lassen, wie gut auch immer es gemeint sein mochte. Sie
hatte sich ihr ganzes Leben lang so verhalten, wie sie glaubte, dass sich eine
Lady verhalten musste. Und wohin hatte es sie gebracht? Sie hatte Wilma also
mitgeteilt, dass sie ihre Einladung annehme, auch wenn sie Lord Farrington noch
nie begegnet war. Sie war sich auch jetzt noch nicht sicher, was sie getan
hätte, wenn Wilma es nicht als ihre Pflicht angesehen hätte, sie mit Lord
Sutton zu begleiten.
Die Kutsche fuhr
langsam vor. Ein Portier öffnete den Schlag und ließ die Stufen herab. Ein
Gentleman trat aus der Menge um die Theatertüren hervor und streckte eine
helfende Hand aus.
»Miss Edgeworth?«,
sagte Lord Ravensberg. »Gestattet mir, Euch zu helfen.«
Er wirkte in
schwingendem schwarzem Abendmantel und Zylinder unglaublich elegant und
ansehnlich. Lauren legte ihre Hand in die seine, während Wilma und Lord Sutton
schwach protestierten.
»Ich danke Euch,
Mylord.« Sie trat aufs Pflaster.
»Ein
veilchenfarbener Mantel«, stellte er fest, »mit passender Robe. Aber die
Schattierung ist dieses Mal heller als Eure Augen - und weniger
strahlend. Ich habe Euch vermisst. ich habe überall nach Euch gesucht, Euch
aber nicht gefunden. Daher musste ich mich zu dieser Strategie herablassen.« Er
führte sie durch das bevölkerte Theaterfoyer zur Treppe zu den Logen.
»Warum?«, fragte
sie.
Er konterte mit
einer neuen Frage. »Warum habt Ihr die Einladung angenommen?«
»Vielleicht, weil
ich das Werk von Mr. Shakespeare bewundere?«
Er lachte leise.
»Lauren«, rief
Wilma hinter ihnen, »denk daran, dass du dich zwischen Sutton und mich setzt.
Ich brauche dich, damit du mir erklären kannst, was auf der Bühne geschieht.
Ich bin doch so einfältig. Ich habe diese altertümliche Sprache noch nie
verstanden.«
»Aha«, murmelte
Lord Ravensberg. »Gerade hat sich Euch eine Gelegenheit geboten, meinen
lüsternen Fängen zu entkommen, Miss Edgeworth. Wenn Ihr Euch neben mich setzt,
wozu ich Euch einladen möchte, werdet Ihr vielleicht feststellen, dass ich Euch
den ganzen Abend ungehörige Nichtigkeiten ins Ohr flüstern und Euch an Stellen
berühren werde, die ich unter dem Schutz der Dunkelheit nicht berühren sollte.«
Seine Worte waren
bestürzend ungeheuerlich. Das sollten sie auch sein, wie sie erkannte, genau
wie auch sein verschwenderischer Lobpreis ihrer Schönheit an jenem Tag im Park
eher als Herausforderung denn als Täuschung gedacht gewesen war. Sie würde ihre
Entrüstung nicht zeigen. Sie würde ihm damit nur in die Hände spielen und ihn
vermutlich amüsieren. Obwohl sie absolut nicht verstand, warum es einen Mann
wie ihn amüsieren sollte, jemanden wie sie zu reizen.
»Wenn ich Euren
Fängen hätte entkommen wollen«, belehrte sie ihn, »wäre ich zu Hause geblieben.«
»Wirklich
herausfordernde Worte«, murmelte er, bevor er vor einer der Logen stehen blieb
und die Tür öffnete.
Wenige Minuten später
setzte sich Lauren, nachdem sie Lord Farrington, Miss Janet Merklinger und Mr.
und Mrs. Merklinger, den Eltern der jungen Lady, vorgestellt worden war, auf
einen samtbezogenen Sessel vorn in der Loge, auch wenn Wilma, die sich noch mit
Mrs. Merklinger unterhielt, sie am Arm zu packen versuchte, um sie davon
abzuhalten.
Viscount Ravensberg
nahm neben ihr Platz.
Lauren verspürte,
trotz all ihrer guten Absichten, ein Prickeln ihren Arm entlanglaufen, der ihm
am nächsten war, sowie eine vorahnungsvolle Unruhe, die Erregung täuschend
ähnelte. Sollte er sich dreist oder unverschämt oder anderweitig schändlich
verhalten, würde sie ihn scharf zurechtweisen. Sie freute sich beinahe darauf,
ihren Verstand mit dem seinen zu messen.
Das Leben war sonst
so langweilig und vorhersagbar.
Sie
Weitere Kostenlose Bücher