Dieser graue Geist
Verbindung zu wissen, ging ich schon mit zwei, drei Jahren Seite an Seite mit meinen Partnern zur Schule.«
»Ich hoffe nur, die ganze Mühe rentiert sich für Ihr Volk.«
Wenn du nur wüsstest, was du da ansprichst … Shar dachte an Jahre voller Klassenarbeiten, nächtelanger Lernmarathons und endloser Tage im Labor. Keren hatte ja keine Ahnung, dass die Antwort auf ihre Frage sein gesamtes Leben geprägt hatte. Und sie musste es nicht wissen. Hier ging es um ihre Welt, nicht seine.
»Für kurze Zeit stabilisierte sich unsere Anzahl, doch in jüngeren Generationen traten neue Gendefizite auf. Schwächen in bestimmten Chromosomensegmenten machten uns anfällig für diverse Krankheiten. Und diese neuen Mutationen erwiesen sich als irreparabel. Die Zuordnung von Bündnispartnern ist mittlerweile wenig mehr als eine Notlösung.«
»Also …?« Ihr nüchterner Gesichtsausdruck verriet, dass sie seine nächsten Worte schon ahnte.
»Also stehen wir kurz vorm Aussterben, sofern sich nicht bald eine dauerhafte Lösung findet.« Warum fällt es mir leichter, diese Dinge einer Fremden wie Keren zu erklären, als sie Nog oder meinen anderen Kollegen von der Flotte mitzuteilen? Es tat gut, alles zu offenbaren, auch wenn er instinktiv jedes Wort auf die Goldwaage legte, bevor es über seine Lippen kam. Keren hatte nicht ein Mal das Gesicht verzogen oder gekichert. Von seinen Zimmergenossen auf der Akademie konnte Shar das nicht behaupten.
Aufgrund der speziellen Umstände andorianischer Sexualität wurde dieses so intime Thema oft missverstanden, wenn nicht sogar ausgenutzt. Andorianische Familienplanung verlief weitaus konservativer als die der meisten Humanoiden. Es hatte Shar verblüfft, zu sehen, wie viele Partner andere Wesen »ausprobierten«, bevor sie sich dauerhaft banden. Da seine Geschlechtszugehörigkeit für Angehörige zweigeschlechtlicher Spezies nicht so leicht erkennbar war, hatte es ihm stets weniger Mühe bereitet, etwaige Avancen abzuwehren, als Interessierten die Schwierigkeiten andorianischer Intimität zu offenbaren. Sittsamkeit war ein natürlicher Nebeneffekt seiner Kultur. Keren schien das zu verstehen.
Als er zum Ende seiner Geschichte kam, erreichten sie gerade ihr Ziel. In einer relativ trockenen hohlen Baumwurzel aßen sie zu Mittag. Shar gönnte sich einen weiteren Rationsriegel, Keren hatte Brot und Obst dabei. Sonnenlicht fiel durch die Kronen des Waldes und tauchte Buschwerk und gefallene Blätter in ein Spiel aus Helligkeit und Schatten. Gelegentlich brachten Winde die obersten Zweige zum Schwingen. Dann rieselten trockene Nadeln und abblätternde Rinde zu Boden.
Keren sah Shar an. »Nur damit ich verstehe, worüber wir seit einer Stunde sprechen: Ihr Leben dreht sich darum, mit Ihren Partnern neues Leben zu zeugen, Nachfahren zu bekommen. Richtig?«
»Das sollte es. Mein ganzes Leben war darauf ausgerichtet.«
»Sollte?«
»Ich habe recht … radikale Ansichten darüber, wie meinem Volk zu helfen ist.«
»Warum überrascht mich das nicht?« Sie grinste breit. »Damit stehen Sie innerhalb Ihrer Kultur aber sicher nicht allein da. Viele müssen Ihren Standpunkt teilen.«
»Teilen und Handeln sind zwei sehr verschiedene Dinge. Ich nehme mir das Recht heraus, alle mir nötig erscheinenden Fragen zu stellen.« Was hatte Zhavey gesagt? »Antworten findest du nur daheim, nur im Shelthreth !« Aber das hieß, eine nie zuvor da gewesene Forschungschance auszulassen. Shar fiel eine Geschichte ein, die er einst gehört hatte. Sie handelte von einem Mediziner, der ein Heilmittel für die Nezti -Grippe suchte. Nachdem er ganze Monate ergebnislos im Labor vergeudet hatte, gönnte er sich eine Reise, um auf andere Gedanken zu kommen. Und auf dieser Reise entdeckte er eine seltene Pflanze, die den Unterschied bewirkte, da sie das Heilmittel barg. Für Shar war das ganze Leben eine Reihe intuitiv zu treffender Entscheidungen, und bisher hatte seine innere Stimme ihn stets gut geleitet. Die Wahl zwischen der Defiant -Mission und dem Shelthreth war eine Wahl zwischen zwei gleich richtigen Alternativen, und er war seiner Intuition gefolgt – bis hierher nach Vanìmel. Nun musste er darauf vertrauen, mit der Zeit auch seine Antworten zu finden.
»Ich kann mir vorstellen, wie klaustrophobisch dieses Leben sein muss«, sagte Keren.
»Als ich ein Kind war, erzählte mir meine Zhavey keine Märchen, sondern Parabeln und Fabeln über das Glück, sein Leben dem Gemeinwohl widmen zu dürfen. Mein
Weitere Kostenlose Bücher