Dieser graue Geist
zu.
»Was jetzt?«, fragte er und presste es sich an die Brust.
»Ruh dich aus«, sagte sie. »Befehl des Captains.«
Dann verschloss sie die Tür.
Der unebene Boden ließ Shar stolpern. Wieder und wieder prallte er gegen vermummte Yrythny, die aus Wohnungen und Arbeitsstätten strömten. Das Alte Viertel strotzte nur so vor nächtlicher Aktivität. Shar und Keren stiegen eine breite Treppe hinab und erreichten einen Platz, wurden eins mit dem Meer der aus diversen Gängen strömenden Wesen. Händler saßen hinter Verkaufsständen, und an den wenigen freien Stellen, die nicht von Gemüsekarren und Grills voller in Blätter gewickelter Fische beansprucht wurden, boten Handwerker und Künstler ihre jeweiligen Fertigkeiten feil. Ein Marionettenspieler begeisterte ein paar Kinder mit seinen geschnitzten, bunt bemalten Schöpfungen, während ein Flötenspieler seine Geschichte begleitete. Mit ihren tief ins Gesicht gezogenen Kapuzen fielen Shar und Keren nicht auf.
Er folgte ihr in eine kleine Seitengasse und zu einer Stoffhandlung, deren Tür aus einem dicken Teppich bestand. Keren schob ihn beiseite, und sie betraten das düstere Innere. Hoch türmten sich die Stoffe auf Tischen und in Regalen, verströmten einen Geruch von Staub und Moder. Der Yrythny hinter der Theke ignorierte die Neuankömmlinge und gab Daten in ein Computerterminal ein. Keren griff in ein Regal an der hinteren Wand des Ladens, hob einen besonders vergammelt wirkenden Stoff an, prüfte den Preis. Dann den nächsten. Shar wusste nicht, was sie mit dieser Einkaufstour beabsichtigte, doch als er sie darauf ansprechen wollte – sie hatte gerade einen wandgroßen Teppich mit Fransen inspiziert –, war sie plötzlich fort. Unfähig, sie wiederzufinden, wiederholte er ihre Bewegungen: Er hob eine Ecke des wuchtigen, moosgrünen Teppichs, neigte den Kopf, um den Preis zu erkennen – und der Boden drehte sich. Mit einem Mal stand Shar in einem Korridor voller Yrythny, alle vermummt.
Was sollte er tun? Unsicher sah er sich um, als er Kerens Hand auf einmal an seinem Arm spürte. Die Menge strömte in einen Raum, der vermutlich das Lager der Stoffhandlung war. Dort nahmen die Yrythny auf metallenen Hockern Platz. Abgesehen vom Quietschen der Hocker auf dem Fußboden, dem Rascheln der Kapuzenmäntel und dem ein oder anderen geflüsterten Wort herrschte völlige Stille. Shar konnte sich im Dämmerlicht nicht sicher sein, schätzte die Zahl der Anwesenden aber auf knapp hundert.
Er und Keren hielten sich im hinteren Bereich und warteten, während sich der Raum mehr und mehr füllte. Schließlich – Shar glaubte schon, das Lager könne nicht ein weiteres Lebewesen fassen – erhob sich eine Person in der ersten Reihe.
»Außenweltler kamen nach Luthia«, begann der Anführer. »Man versicherte uns, es handele sich nicht um Agenten der Cheka. Manche glauben sogar, die Fremden – eine von ihnen insbesondere – seien vom Anderen gesandt, um Frieden zwischen uns und unseren hausstämmigen Geschwistern zu schaffen. Ich jedoch bin skeptisch. Wer garantiert, dass dies kein neuer Täuschungsversuch der Hausstämmigen ist? Dass sie uns nicht zu finden und zu infiltrieren versuchen, während wir warten? Wir brauchen eine Strategie, falls es zum Äußersten kommt.«
Vor Shar stand eine Frau auf. »Wir sollten zumindest in Erwägung ziehen, dass die Lage so ist wie beschrieben. Dass die Außenweltler als Bittsteller kamen, weil sie in eine uns zugedachte Falle der Cheka gerieten. Als Fremde in diesem Sektor können sie unsere Lage neutral beurteilen. Vielleicht hat der Andere sie tatsächlich zu uns geführt. Dann schadeten die harten Reaktionen unserer Leute unserer Sache nur. Wenn die Besucher mehr über unsere Situation wüssten …«
»Und wie soll das gehen?«, rief jemand. »Die Fremden werden sich nicht mit uns treffen dürfen. Die Hausstämmigen werden sie vom Alten Viertel fernhalten, es als schmutzig und armselig abtun. Die Fremden werden nicht mit den Bediensteten sprechen, mit den Shmshu -Hirten oder den Fischern. Stattdessen wird man sie der Elite präsentieren, die unser Schicksal herunterspielt, weil sie den Verlust ihres Lebensstandards fürchtet.«
Shar fragte sich, wie viele der Anwesenden zum Mob gehört hatten. Er kauerte sich zusammen und klemmte seine Füße unter seinen Hocker. Hoffentlich bemerkte ihn niemand. Die widersprüchlichen Emotionen in diesem Raum ließen seine Antennen zittern.
Wieder ergriff jemand das Wort. »Ich stamme
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