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Dieser Mann ist leider tot

Dieser Mann ist leider tot

Titel: Dieser Mann ist leider tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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haben es der Antikriegspartei immer schwerer gemacht, noch ein Forum zu finden. Ja, die Senatoren Morse und Fulbright haben die Seiten gewechselt, und zwar unter Berufung auf die Starrköpfigkeit der nordvietnamesischen Regierung und der Grausamkeiten, die ihre Truppen während der Tet-Offensive im Jahre 1968 an Tausenden südvietnamesischer Zivilisten begangen hätten.
    Cal kennt selber einige Kids, ehemalige Blumenkinder, die sich in letzter Zeit dem Argument angeschlossen haben, der Konflikt in Indochina sei kein Bürgerkrieg (wie die eingeschüchterten Verfechter der Friedensbewegung immer noch zittrig behaupten), sondern ein klarer Fall von nackter Aggression. Die Aggressoren sind Onkel Hos rote Horden; die Angegriffenen sind die tapferen Bürger des demokratischen Südens. Zu dieser Anschauung – King Richards unverblümt artikulierter Anschauung – Bekehrte klingen in Cals Ohren oft wie wiedergeborene Christen. Sie sind glühend in ihrem Glauben, und sie können von nichts anderem reden.
    Die Soldaten neben Cal auf der Colfax Avenue brechen in Beifall aus. Einer von ihnen schreit: »Da ist er!« Die Klänge von zwei verschiedenen Marschkapellen – eine von der städtischen High School, eine aus Fort Carson – kollidieren; Cal fühlt sich an eine sardonische Symphonie von Charles Ives erinnert.
    Der Vizepräsident steht auf dem ersten Wagen (der aussieht wie ein Flugzeugträger); er steht im Bug in einem Plastikzylinder, der ihn vor unfreundlichen Wurfgeschossen schützen soll. Er redet, und seine lautsprecherverstärkten Worte hallen durch den langen Canyon der Colfax Avenue wie die Verkündungen eines apoplektischen Richters.
    »… die geschwätzigen Niemande, die euch erzählen wollen, oben sei unten und unten sei oben!« schreit er finster. »Nun, heute fangen wir nicht einmal mehr an, ihnen zu glauben. Ihr Tag ist zu Ende, und der unsere ist angebrochen. Also seht euch um. Wenn ihr einen dieser brütenden, brabbelnden Verbreiter verbrämter Unbrauchbarkeiten erblickt, brennt ihm brutal eins auf den Brägen!«
    Was, zum Teufel, soll denn das bedeuten? fragt Cal sich verwundert. Niemanden hier scheint es zu kümmern. Aber es klingt, als habe ›Speero the Heero‹ soeben ein paar Arschtritte verteilt, und die Farbe seiner Sprache – ein magniloquenter Malven-Ton – wirkt anscheinend elektrisierend auf jedermann.
    Aber bald genug ist der Vizepräsident vorüber, und auch wenn mehrere Soldaten dem Wagen nachjagen und dabei ihre Mützen schwenken, ist Cal doch aus einem anderen Grund nach Denver gekommen. Siegesparaden wie diese finden jetzt seit ungefähr drei Monaten statt, in strategisch verteilten Städten überall im Land, zumeist mit hochrangigen Regierungsvertretern als Zeremonienmeister. New York, erinnert sich Cal, hat Kissinger. Boston hat Melvin Laird, Chicago William Rogers. Und so weiter.
    Aber Cal hat kein Interesse an großen Fischen – nur an blutsverwandten kleinen Leuten.
    Vor einem Jahr wurden Royce und Dora Pickford, die in Snowy Falls, Colorado, eine Wochenzeitung hatten – von ein paar Rindern nicht zu reden –, verhaftet worden, weil sie eine antimilitaristische Haltung eingenommen und Exemplare des aufrührerischen Huerfano Warrior mit der staatlichen Post an jede bedeutende Persönlichkeit in Washington geschickt hatten. Aber ›verhaftet‹ ist das falsche Wort: Cals Eltern waren einfach verschwunden. Erst nach wochenlangen hartnäckigen und riskanten Nachforschungen konnte er herausfinden, daß sein Vater im Staatsgefängnis von Canyon City saß und seine Mutter in einem ›sicheren Haus‹ – safe house war die eigene, vernebelnde Bezeichnung der Regierung dafür – auf dem Luftwaffenstützpunkt Ent in Colorado untergebracht worden war.
    Sein Vater, ein harter, aber ehrenhafter Mann, in einer Institution, die für Mörder, Vergewaltiger und ihre gewalttätigen Kollegen gedacht ist. Seine Mutter, die sanftmütigste, geselligste aller Frauen, in gewaltsamer Klausur, fern von Familie und Freunden.
    Das war und ist empörend. Wahrhaft empörend. Aber niemand will Cal erlauben, Vater oder Mutter zu besuchen. Einmal, als er nach Ent hinauffuhr, um das ›sichere Haus‹, in dem seine Mutter ist, zu suchen, haben ihn Sicherheitsposten des Stützpunktes festgenommen und zur Stadtgrenze eskortiert, mit der Warnung, daß nochmaliges unbefugtes Eindringen zu seiner Verhaftung führen werde.
    Indem er mehrere nervöse Abgeordnete seines eigenen County- und Kongreßbezirks

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