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Dieser Mann ist leider tot

Dieser Mann ist leider tot

Titel: Dieser Mann ist leider tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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sie in einer seltsamen Dimension jenseits der Zeit aufgebahrt lag. Diese Vision, das wußte er, hatte nichts mit dem Marijuana zu tun. Es war ein geistiges Bild, das nicht von Cannabis sativa heraufbeschworen wurde, sondern von der Trauer, seiner eigenen und Lias.
    Dort, in der offenen Tür der Duschkabine, schwebte Miss Emily vor ihm empor, schwerelos auf einem Nebelhauch oder einem Leichentuch (Nebelhauch und Leichentuch, dachte Cal in albernem Singsang); ihr schmales Gesicht war wächsern, und ihre Hände ruhten neben ihr wie Klauen aus Gips.
    »Einst lebendig, doch nun tot.« Die tiefgründigste Banalität – oder die banalste Tiefgründigkeit –, die ein Mensch nur äußern konnte.
    Ein Mysterium.
    Der ›Thisbe Holt‹ entglitt Cals Händen. Er wandte den Blick nicht von Miss Emily, nahm aber schnell hintereinander mehrere tiefe Züge – ein Verstoß gegen jede Joint-Etikette, die ihm bekannt war –, um das Bild seiner toten Schwiegermutter halten zu können.
    Es ging nicht.
    Beinahe augenblicklich begann sie zu mutieren; ihre Gesichtszüge schmolzen wie unter heißem Scheinwerferlicht und formten sich neu, als seien darunter gestaltende Hände am Werk. Eine schockierende Neuordnung von Wangenknochen, Stirn, Nase, Kinn, Augenhöhlen, Mund. Das Gesicht von Lias Mutter, verschwunden. Aus der wächsernen Schlacke erschien ein neues Frauenantlitz, und es gehörte Cals verstorbener Mutter, Dora Jane Pickford.
    Cal konnte sich nicht rühren. Er fühlte, wie der Joint seine Finger verbrannte, aber er ließ ihn nicht fallen. Das Gesicht gehörte seiner Mutter, jawohl. Wie sie ’71 ausgesehen hatte. Wie er sich vorgestellt hatte, daß sie im Sarg aussehen müsse – auch wenn er sie darin nie gesehen hatte.
    Bevor er noch mit ihr sprechen konnte, begann Dora Janes Gesicht sich zu verändern. Diesmal ahnte er, was er zu erwarten hatte, und dennoch – als die Züge zusammenfielen, sich wieder aufblähten und sich zusammenfügten, um das Gesicht seines Vaters Royce Pickford zu bilden, war Cal trotzdem erschrocken. Verblüfft.
    Miss Emilys Tod, das wußte er, hatte seine Vision ausgelöst, aber dieses Wissen machte den Anblick seiner längst verstorbenen Eltern nicht minder herzzerreißend. Ebenso wie sein Mitgefühl für den Verlust, den seine Frau erlitten hatte, das Mitgefühl für sich selbst nicht weniger scharf spürbar machte.
    Schließlich ließ Cal seine Zigarette fallen; er saugte an den Blasen, die an seiner Hand erblüht waren, und sprang vor, um Royce Pickfords schwebenden Leichnam zu berühren. Sogleich löste sein Vater sich auf, und Cal hockte auf der Kante der Duschkabine – und wäre um ein Haar kopfüber in die Sattelkammer gekippt. Und hätte fast gebrüllt wie ein Stier unter dem Vorschlaghammer.
     
    King Richards Vizepräsident der ersten Amtsperiode ist einen Tag vor der Siegeskundgebung nach Denver gekommen. Die Stadt hat eine Parade auf der Colfax Avenue organisiert, und ›Speero the Heero‹ – wie die Kids in Boulder ihn mit Vergnügen nennen – sollte der Zirkusdirektor sein.
    Cal ist von Arvill Rudds Ranch in Gardner heraufgekommen, um sich die Show anzusehen. An fünf oder sechs verschiedenen Straßensperren hat er der Staatspolizei versichert, daß er ein glühender Patriot ist, kein moralisch verdorbener Hippie, und dieses unglaubliche Kunststück hat er vollbracht, indem er seinen Indianerzopf unter den Stetson gestopft, zwanzigtausendmal »Ja, Sir« und »Nein, Sir« gesagt und mehrfach vorgeführt hat, daß die Tragetasche in seinem Laster kleine amerikanische Fähnchen enthält – und keine Molotow-Cocktails.
    Auf der Colfax stellt Cal sich neben einer Gruppe Soldaten aus Fort Carson auf. Geschäftsleute, gutgekleidete Mütter mit Vorschulkindern, Collegestudenten in Jackett und Krawatte und eine große Vielfalt von anderen Zuschauern – darunter aber bezeichnenderweise keine Bohémiens aus der Gegenkultur – säumen denselben Gehweg. Cal sieht mit Erstaunen, daß die Zusammensetzung der Menge so völlig anders ist, als sie noch vor zwei Jahren gewesen wäre, als so gut wie jeder Langhaarige, Jesusfreak und hitzige Friedensmarschierer nach Denver gepilgert wäre, um ›Speero the Heero‹ zu sagen, wo er sich’s hinstecken soll und warum.
    Aber die Stimmung in der Nation hat eine radikale – ha!, nenne es lieber eine bemerkenswert konservative – Veränderung erfahren, und King Richard und der Kongreß, den er sich mit Schmeicheleien und Schikanen gefügig gemacht hat,

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