Dieser Mann ist leider tot
den ganzen Morgen plagt.
»Yeah. Der kommt noch. Und das hier ist wahrscheinlich das beste Stück auf der Colfax, um ihn zu erwischen.«
»Erwischen?«
Der Bauhelm mit den Fähnchen schaut Cal prüfend ins Gesicht. »Ihn zu sehen, meine ich. Ist schön breit hier. Was dachtest du denn, was ich meinte?«
Cal murmelt eine unverständliche Antwort, und der Mann wendet sich zur Seite.
Unter lautem Applaus schreitet ein Kontingent Marinesoldaten mit grünen Baretts vorbei. Zwei Kampfflugzeuge donnern am Himmel vorüber. Und dann beginnt eine Straße weiter ein feindseliges Rumoren, das anschwillt, ein vielstimmiges Johlen, das die Gehwege überzieht und hin und her über die Colfax Avenue gellt, immer lauter und häßlicher, je näher es kommt.
Hinter den Geschütztürmen zweier hochmoderner Panzer sieht Cal die rote Fahrerkabine einer Zugmaschine und den offenen Tieflader, auf dem die Dissidenten fahren müssen, die dieser Siegeskundgebung als Gegenstandslektion zu dienen haben. Der Sattelschlepper hat durchsichtige Plastikflanken, aber kein Dach, und als er sich dem Teil der Avenue nähert, auf dem Cal mit den Helmträgern steht, laufen mehrere von deren Freunden auf die Straße hinaus und bewerfen die Plastikwände des Anhängers mit Steinen und Eiern und faulem Gemüse.
Die Steine prallen – bedrohlich – ab, aber Eier und Gemüse und Früchte zerplatzen und bleiben kleben und verwandeln die klaren Schutzscheiben in scheußliche, abstrakt-expressionistische Wandgemälde. Und hinter den Gemälden sind die Dissidenten selbst in ihrer weiten Gefängniskleidung, vielleicht dreißig alles in allem; manche zucken vor dem Aufprall der Wurfgeschosse zurück, andere kauern sich auf der Ladefläche des Anhängers zusammen und tun vergeblich so, als wären sie woanders.
»Gott«, platzt Cal heraus.
»Hier«, sagt der zweite Bauhelm und nimmt einen dicken Stein aus seiner Papiertüte. »Schmeiß diesen Burschen im Bogen über die Scheibe.«
»Yeah«, sagt der dritte und nimmt sich auch einen Stein. »Da hast du ’ne ordentliche Chance, einem ein Loch in den Kopf zu pfeffern.«
Cal läßt den Stein fallen und läuft auf die Straße. Der Tieflader zieht mahlend vorüber. Verzweifelt läuft er an ihm entlang und späht durch verschmiertes Eigelb und zermantschte Tomaten zu den Gefangenen hinein, die diese qualvolle Prüfung über sich ergehen lassen.
Verfassungswidrig, denkt er. Verfassungswidrig! Bei Gott, das ist doch verfassungswidrig, verdammt!
Aber es geschieht, und während er neben dem Lastwagen hertrabt, trifft ihn ein fauler Kürbis an der Schulter. Ein Ei streift seinen Stetson und stößt ihn vom Kopf, so daß sein Indianerzopf herunterfällt. Inzwischen tun fast alle Bauhelme und viele der übrigen Zuschauer, was der Kerl in dem T-Shirt vorgeschlagen hat: Sie werfen faustgroße Steine hoch und über die Schilde und sehen dann zu, wie sie auf die Gefangenen herniedersausen wie V-2-Raketen im Blitzkrieg auf London.
Tatsächlich ist das hier ein Blitzkrieg im Mikrokosmos, und das Gejohle der Bauhelme hallt zwischen den Gebäuden von Denver wie rauhe Schrapnellexplosionen. Cal hört auch das Geräusch von Steinen, die von Metall, von Plastik und von zerbrechlichen menschlichen Knochen abprallen.
Cals Vater sieht ihn zuerst – er hängt an einem Gurt dicht hinter der Zugmaschine, und er hebt die Hand und klopft sich an den Hinterkopf, um pantomimisch zu übermitteln, daß Cal seinen Hut verloren hat, und daß man den Indianerzopf sehen kann. Seine Mutter – sie blutet schon an der Schläfe – erscheint unter Royces Arm. Sie erblickt ihren Sohn und warnt ihn, näherzukommen; sie schüttelt den Kopf und macht abwehrende Bewegungen mit beiden Händen. Cal trabt weiter neben dem Tieflader her und brüllt: »Mom, Dad! Mom, Dad!« Verzweifelt wehrt er die verschimmelten Orangen und die Asphaltbrocken ab, die auf den Wagen oder auf ihn geworfen werden.
Schließlich aber stolpert und fällt Cal über irgendwelchen Müll, der auf der Straße liegt, und als er wieder auf die Beine gekommen ist und den Tieflader eingeholt hat, ist das Bombardement der Zuschauer – angeführt von den schadenfrohen Helmträgern – zu einem mörderischen Regen geworden, und Royce und Dora Jane Pickford haben sich auf die Ladefläche des Lasters geworfen, um die Leiber anderer zu decken, die jünger sind als sie.
Es ist schwer, durch die verschmierten Gemälde auf den Seitenscheiben zu sehen, aber anderthalb Straßen weiter erkennt
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