Dieser Mann ist leider tot
strich sich eine Haarsträhne aus den Augen. Wieder eine Sackgasse, wieder verlegenes Schweigen. Cal wollte aufstehen und gehen – das Gespräch war anscheinend zu Ende –, aber Grace selbst machte keine Anstalten, sich zu erheben. Verdammt. Was konnte er noch sagen, um seiner Ablehnung die Spitze zu nehmen und um seine Bangigkeit zu vertreiben? Welches versöhnende Wort?
»Die Zeit hat Sie noch nicht erledigt«, versuchte er. »Sie sehen immer noch toll aus, Miss Grace.«
»Abends. In solchem Licht.« Sie blickte hoch zu dem schrägen Oberlicht. Dann, ohne weitere Präambeln, öffnete sie langsam die beiden oberen Knöpfe ihres Kleides.
Cal stand auf. »Hören Sie mal …«
Sie hielt inne. »Sie haben doch gehofft … na ja, nicht direkt gehofft, aber sich doch gefragt, ob ich vielleicht etwas dergleichen tun würde.«
»Nein. Nein, hab ich nicht.«
»Haben sich gefragt, wie es sein könnte, einen Filmstar zu vögeln. Sich nachher, wenn Sie neben der treuen Lia im Bett liegen, sagen zu können, daß Sie es getan haben.«
»Miss Grace, es ist nicht meine Art …«
»Es ist Ihnen nicht in den Sinn gekommen? Überhaupt nicht? Nicht mal so, wie vielleicht eine Spinnwebe Ihre Stirn streift?«
»Jesus«, sagte Cal. »Jesus.«
»Vielleicht hätten wir uns doch in der Sattelkammer unterhalten sollen. Zumindest der Gestank dort hätte mir gezeigt, zu welchem Geschlecht Sie gehören.«
»Hören Sie, Sie wollen mir doch nicht allen Ernstes vorschlagen, daß wir beide zusammen ins Heu gehen sollen, oder? An dem Nachmittag, an dem die Mutter meiner Frau beerdigt wurde? Während andere Leute in hellen Haufen ringsumher Tango tanzen, auf demselben Grundstück, auf dem Sie mit mir intim werden wollen? Ist das Ihr neuester Vorschlag?«
»Ich mache selten viel Lärm. Und Sie?«
»Mein Vater hat gesagt, ich soll mich niemals in eine Situation begeben, wo ich beim Ficken die Hose anbehalten muß. Und in einem so geräumigen Laden wie diesem hier werde ich sie nicht ausziehen, geliehen oder nicht. Mrs. Berthelot.«
Sie lächelte; es sah eher traurig als sarkastisch aus. »Sie werden später bereuen, daß Sie weggegangen sind – und daß Sie sich so eselhaft edel aufgeführt haben.«
»Das glaube ich nicht.«
»Nicht?«
»Nein. Haben Sie schon mal im Heu gebumst? Versuchen Sie’s mit Hiram. Ihr niedlicher kleiner Arsch wird noch ’ne Woche nachher jucken.«
Mit diesen Worten verließ Cal die Box; und er ging quer über den Zementboden des Stallgebäudes, vorbei an den baretttragenden Agenten im Eingang und zurück durch die Allee von blühenden Quitten und Azaleen zu dem Baldachin, unter dem Lia saß. Als er näherkam, hörte er, wie Denzil Wiedenhoedts Musikbox ›That Old Rugged Cross‹ plärrte.
Nachdem er den Chef seines Chefs und Minister Berthelot durch die Stallungen geführt hatte, kehrte Horsy in die Sattelkammer zurück. Er machte sich ein Cornedbeef-Sandwich und nahm ein neues Bier in Angriff. Ein lockerer Tag, wenn man die Beerdigung der armen Miss Emily einmal hinter sich hatte.
Als er so in der Sattelkammer umherschlenderte, trank und aß, warf Horsy einen Blick in den Papierkorb. Darin lag aufgeklappt das wassergetränkte Buch, das Cal weggeworfen hatte, ›The Broken Bubble of Thisbe Holt‹. Horsy fischte es heraus. Es sah halbwegs interessant aus, war aber vom Duschwasser ganz aufgequollen, fett wie eine Maikäferlarve. Es würde trocknen müssen, damit er es lesen könnte, und wenn es trocken wäre, würde es beim Umblättern immer noch sperrig und hart sein.
Später nahm er es mit in seinen Speicherraum über den Vollblütern und legte es auf seinen Nachttisch. Noch später, als er in seinem Sessel saß, begann er in dem feuchten Buch zu blättern. Dabei überfiel ihn einer seiner Anfälle, und er wurde durch die Stalldecke gehoben wie Elias, der in einem Wirbelwind gen Himmel fuhr …
19 »Mein Gott!« rief Lia. »Mein Gott!«
Cal lief ihr nach ins Badezimmer. Seine Hand schob sich in ihren Nacken, und seine Finger kneteten die Spannung dort.
»Die Klopfnichts«, sagte er. »Die gottverdammten, stinkigen Klopfnichts.«
»Was haben sie mit ihm gemacht, Cal? Was haben sie gemacht?« Aber sie wußte es schon. Vikes Abwesenheit von seinem Platz unter dem Magnolienbaum war der erste Hinweis darauf gewesen, daß – wie Cal sagte – etwas ›böse nicht stimmte‹.
Und dann die Haustür, unverschlossen und offen. Erdspuren auf dem Wohnzimmerteppich. Gefolgt von der Entdeckung, daß
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