Dieser Mann ist leider tot
machte Lia Vorhaltungen; sie bat darum, helfen zu dürfen, und erbot sich, zwei von Rogers Freunden anzurufen, damit sie Cal halfen, den Husky hinauszutragen und zu begraben. Die zweite Beerdigung an diesem Tag für die arme Lia. Wie traurig, wie traurig.
Es dauerte zehn Minuten, die Frau wieder in ihre eigene Hälfte des Hauses zurückzumanövrieren. Ihr Verlangen, zu helfen, war aufrichtig, und Lia wußte ihre Sorge zu schätzen. Aber das letzte, was sie oder Cal jetzt brauchen konnten, war noch eine gutgemeinte Sintflut von Mitgefühl. Seit Miss Emily gestorben war, standen sie in einem Regen von Fürsorge, und Lia würde schmelzen – sich auflösen und verrinnen –, wenn sie diese unbarmherzige Barmherzigkeit auch nur noch fünf Minuten länger erdulden müßte. Alleinsein, das war es, wonach sie jetzt verlangte. Cal wahrscheinlich auch. Freilich, morgen oder übermorgen würden weitere Konsequenzen dieses Klopfnicht-Einbruchs zutage treten, und ihr Leben würde sich von neuem verändern …
Lia kehrte in das Apartment zurück und schloß die Tür. Mama tot, Vike dahin, Cals Dickiana gestohlen. Katastrophe über Katastrophe.
Wo war Cal jetzt? Lia fand ihn im Schlafzimmer; er saß mit gekreuzten Beinen auf dem Boden, das Fenster hinter ihm war offen, das Fliegengitter fehlte. Auf seinem Schoß lag ein leuchtend gelber Schutzhelm, wie ihn Bauarbeiter trugen. Cal hatte die Hände auf den Helm gelegt, als sei es die Kristallkugel einer Wahrsagerin.
Sein Gesicht war dabei von Emotionen verzerrt. Tränen perlten in seinen Augenwinkeln und formten schlängelnde rote Bahnen über seine Wangen. Lia war überrascht, ihn derart heftig auf Vikings Tod reagieren zu sehen. Normalerweise war er zurückhaltender, reservierter. Selbst Miss Emilys Tod hatte ihn nicht zum Weinen gebracht. Bei diesem Ereignis war er für sie eher ein Trostspender und weniger ein Trauergefährte gewesen. Natürlich war dies vielleicht auch seine Reaktion auf eine kulminierende Serie von Schocks.
»Was ist denn, Schatz?« fragte Lia. Sie kniete vor ihm nieder, legte ihm die Hände auf die Schlüsselbeine und küßte ihn auf die Stirn.
»Ich habe angefangen abzureagieren«, sagte er, und seine Stimme klang gepreßt und so zerfranst wie aufgeribbelter Hanf. »Lia, ich habe endlich angefangen abzureagieren.« Er hob den gelben Helm, als könne dieser seine seltsame Bemerkung erklären.
Für Lia klärte sich damit nichts, vorläufig jedenfalls, aber es lag so viel gedämpfte Hoffnung in dieser Geste, daß sie sagte: »Gut. Das ist sehr gut, Cal …«
An diesem Abend war Le Boi Loan an seiner Arbeitsstelle im ›Save-Our-Way‹-Supermarkt am Rande des Highway 27 außerhalb von LaGrange. Er hatte eine Erkrankung vorgeschützt und seine Schicht in der Buchhandlung versäumt, um seine Klopfnicht-Drecksarbeit für Grace Rinehart zu erledigen, und jetzt fühlte er sich wirklich krank. Ein Knoten wanderte in seinem Bauch umher, seine Stirn glühte, und seine Hände waren so kalt wie das Innere einer Softeis-Maschine.
Vielleicht hätte er zu Tuyet und den Zwillingen nach Hause fahren sollen. Natürlich hätte er sie dann belügen müssen, um seine vorzeitige Heimkehr aus dem Einkaufszentrum zu erklären. Es war schon besser, im ›Save-Our-Way‹ zur Arbeit anzutreten und ein bißchen Geld zu verdienen, als auch noch den zweiten Job zu schwänzen und seine Frau zu betrügen. Aber, du lieber Gott, er hörte immer noch das Echo seiner Pistolenschüsse und sah Cal Pickfords wunderschönen sibirischen Husky mit der Schnauze voran in der Badewanne.
Scheiße, tat sein Bauch weh! Wenn es doch nur einen neuen Daredevil im Drehständer gäbe, den er herunternehmen und lesen könnte. Aber da war keiner. Die Juni-Nummer war noch nicht erschienen, und kürzlich hatte er von zwei Comic-Fans, die im Laden verkehrten, munkeln hören, daß Frank Miller, der einzige Zeichner-Texter, der Daredevil wirklich für sie zum Leben erweckte, von ›Marvel Comics‹ nach ›Stupendo‹ wechseln wolle; vielleicht werde er die Comic-Zeichnerei sogar ganz an den Nagel hängen und statt dessen Plakate entwerfen und TV-Animationsfilme für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten 1984 entwickeln. Bis dahin würde noch einige Zeit vergehen, aber man sah doch, daß Miller die Zukunft im Auge hatte.
Vielleicht solltest du wieder mit dem Zeichnen anfangen, sagte Lone Boy sich. Du warst eine Zeitlang ziemlich gut.
Und so zog er einen Block unter der Theke hervor und
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