Dieser Mann ist leider tot
nicht, denkt er lächelnd. Nicht, wenn du sie mit den desolatesten terrestrischen Vorposten vergleichst, die du kennst. Es ist nur heiß wie die Hölle oder kalt wie die ewige Verdammnis und in beiden Fällen so unversöhnlich mörderisch, daß es kein Wunder ist, wenn Logan uns nicht allein hinausgehen lassen will. Andererseits, wie sollte ich jemals Einsamkeit finden auf diesem schlackigen Klumpen von Basalt, Norit und Konglomeratgestein, wenn ich nicht allein hinausginge?
In Louisville, Kentucky, katholisch erzogen, vergleicht Vear Von Braunville unversehens gelegentlich mit Gethsemane, dem Kloster bei Bardstown, Kentucky, wo der trappistische Autor und Mönch Thomas Merton den größten Teil seines Erwachsenenlebens zugebracht hat.
Entscheide dich, Gordon. Ist deine Mondbasis ein Spielkasino oder ein Kloster? Nun, sie hat ein bißchen von beidem. Kommt auf den Standpunkt an. Nur hier oben zu sein ist natürlich schon ein Glücksspiel, aber der klösterliche Aspekt des Lebens zeigt sich in der Tatsache, daß wir zusammengepfercht in einem begrenzten lebenserhaltenden Raum leben und uns mit der körperlichen Allgegenwärtigkeit – und den lästigen Schrullen – der anderen abzufinden haben, um nicht verrückt zu werden und strafbare Unruhe zu stiften. Isoliert, wie wir von der Erde sind, können wir – paradoxerweise – fast niemals ungestört für uns allein sein. Und verjüngende Ungestörtheit ist das, was die meisten von uns nötig haben.
Auf der Suche nach Ungestörtheit klettert Vear einen holprigen, natürlichen Pfad an der Ostflanke des Kraters hinauf. Von Braunville kauert unter ihm. Der Hang ist gnädigerweise nicht steil, und langsam gewinnt er Höhe und gesegneten Abstand von der Basis mit ihren Vorschriften und Beschränkungen. Er hat Luft für vier Stunden; das Kühlsystem seines Anzugs wird – Gott und der NASA sei Dank – verhindern, daß sein Blut zu kochen beginnt, und obwohl sich Schweiß auf seiner Stirn, unter den Armen und in den Kniekehlen sammelt, genießt Vear diesen … ja, könnte er es nicht mit Recht einen ›Star Trek‹ nennen?
Der Himmel ist mit Sternen bestreut, heller und zahlreicher, als er sie in Kentucky je gesehen hat, und wenn er auch offiziell dienstfrei ist, kann er doch in seiner Rolle als Selenologe auch das Gestein unter sich betrachten – pulvrig, glasig, kristallin – und seinen Ausflug später als ›Forschung‹ rechtfertigen.
Ungestört für sich allein sein, sinniert Vear – das ist es, was Nyby brauchte, auch wenn Logan und ein paar der NASA-Jungs glauben, es sei unsere Isolation gewesen – ein irriges Gefühl kosmischer Entfremdung – was ihn dazu verführt hat, sich umzubringen. Zum Teufel damit, denkt Vear grimmig. Was Nyby hat durchdrehen lassen, war die Tatsache, daß er fast immer jemanden vor der Nase hatte, der ihm sagte, welche Aufgabe er zu erfüllen habe, wie sie anzugehen sei und wann sie erledigt zu sein habe. Es war ein Gefühl von gewaltsamer Gemeinschaft ohne wirkliche Vertrautheit sowie das Bewußtsein, daß die wahre Herrschaft über sein Leben anderswo ausgeübt wurde, was Nyby über die Planke in den Selbstmord hatte gehen lassen. Vielleicht hätte jemand mit ihm sprechen sollen – sich ihm bekennen sollen, meine ich –, aber statt dessen hat dauernd jemand auf den armen Roland eingeredet, ihn herumkommandiert, genötigt, eingeschränkt.
Vear verspürt Gewissensbisse, und er bleibt an einer Stelle stehen, wo sich ein schöner Blick auf Von Braunville und den Ostrand des Kraters bietet, hinter dem – nimmt man sich einen Flieger und fliegt damit rund hundertfünfzig Meilen weit – das diesseitige Ufer des Meeres der Fruchtbarkeit liegt. Ich wünschte, ich wäre jetzt dort, denkt der Major. Mehr Ungestörtheit, mehr Einsamkeit, mehr Platz, um über meine Schuld gegen Nyby zu grübeln, den Spezialisten für Materialwissenschaft, der aus unserem Leben gefallen ist – sich hinausgestürzt hat, könnte man vermutlich sagen –, indem er einen kurzen Spaziergang unternommen hat.
Vears schlechtes Gewissen erwächst aus der Erinnerung an ein Gespräch, das er zwei Wochen vor dessen Spaziergang mit Nyby geführt hat. Der Major hat ihn eines Tages beim Essen gesehen und seine Niedergeschlagenheit bemerkt, und so hat er ihn nachher angesprochen und gefragt, ob alles in Ordnung sei.
»Ich habe das Gefühl, daß alle auf mir sitzen, Sir.«
Das ›Sir‹ war obligatorisch gewesen, nicht bloße Höflichkeit. Zwar gehörte Nyby dem
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