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Dieser Mann ist leider tot

Dieser Mann ist leider tot

Titel: Dieser Mann ist leider tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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nationalen Stimmung ein Reservoir der Abneigung liege. Lia hielt ihm entgegen, daß Attentäter die öffentliche Meinung nicht zuverlässig anzeigten – sie seien Sklave privater Psychosen, genau wie Cal ein Sklave seines pathologischen Hasses auf den Präsidenten geworden sei. Diese Analyse veranlaßte Cal, sich von ihr abzuwenden und ›Harper Mocton‹ zu Ende zu lesen, allerdings nicht mehr laut.
    Lia konzentrierte ihre Aufmerksamkeit zur Selbstverteidigung auf den Artikel im Journal of Clinical Psychology.
    »Dr. Bonner«, sagte Shawandas Stimme, »Sie haben Besuch.«
    »Kai?«
    »Nein, Ma’am. Es ist …«
    Aber die Sprechzimmertür öffnete sich, und Grace Rinehart – Lia erkannte sie sofort – kam aus dem Warteraum hereinspaziert und begann unverhohlen die Gestaltung des kleinen Zimmers zu begutachten. Lias erster Gedanke war, daß es Miss Rineharts Patriziermaßstäben unmöglich entsprechen könne; beunruhigt erhob sie sich, um ihre Besucherin zu begrüßen. Cal hatte gesagt, daß diese Frau vielleicht hereinschauen werde, und heute mußte Lia feststellen, daß ihr Mann ein Prophet von unheimlicher Treffsicherheit war.
    »Sehr nett«, sagte Grace Rinehart. »Pflanzen heitern ein Zimmer immer auf, und wie Sie die alten Schwarzweißphotos von Ihrer Familie arrangiert haben – es ist doch Ihre Familie, oder? –, das ist ein anheimelnder Touch, der selbst den nervösesten Klienten beruhigen dürfte.«
    »Danke«, sagte Lia. »Wollen Sie nicht Platz nehmen?« Sie deutete auf den Sessel.
    »O nein, nicht da. Ich hätte lieber einen Stuhl. Das da ist etwas für Schlangenmenschen.«
    Shawanda brachte den erbetenen Stuhl herein, und Miss Rinehart setzte sich. Sie trug ein marineblaues Kleid mit weißen Punkten, ein leuchtend rotes Tuch, blaue Pumps und eine weiße Jacke mit maritimen Paspeln an Saum, Taschen und Ärmeln. Ihr Hut – ausgewählt, dachte Lia, von der Garderobiere einer Produktionsgesellschaft, die auf bravouröse Remakes von films noirs aus dem Zweiten Weltkrieg spezialisiert war – war ein rundes Schächtelchen mit der Andeutung eines schwarzen Schleiers, der vorn herabhing. Der Schleier berührte kaum Miss Rineharts Stirn, aber sein Schatten lag wie ein Spinnennetz über ihren Augen. Shawanda warf Lia einen Blick zu, der etwa sagte: »Schau an, wen haben wir denn da?« Dann zog sie sich pflichtbewußt in ihr Büro zurück.
    »Sie wissen, wer ich bin?«
    »Ja, Ma’am, ich glaube schon.«
    »Bitte nennen Sie mich nicht ›Ma’am‹. Ich bevorzuge Grace oder Miss Grace oder etwas ähnlich Informelles.«
    »Gut.« Aber was du eigentlich willst, dachte Lia, ist ein Titel, der dir hilft, dich selbst als ewig jugendlich, ewig begehrenswert, ewig glücklich zu betrachten. Informalität hat damit wenig zu tun. Aber das macht nichts. Es muß schwer sein, mit den Zelluloid-Bildern der Person zu konkurrieren, die du einmal warst, aber ganz offensichtlich nicht mehr bist …
    »Sind Sie und Ihre Sekretärin wohl diskret genug – reif genug –, meine Angelegenheiten mit Ihnen für sich zu behalten?«
    »Gewiß.« Gib uns nur erst Gelegenheit, betete Lia.
    »Hätten Sie etwas dagegen, mich als Klientin anzunehmen?«
    »Selbstverständlich nicht.« Aber wenn du mein Herzklopfen hören könntest, dachte Lia, würdest du mich dann für stark genug halten, es zu tun?
    Lia und die Schauspielerin starrten einander prüfend an, und die Psychologin fragte sich allmählich, weshalb Grace Rinehart, die von patriotischen Witzbolden gern als ›Liberty Belle‹ apostrophiert wurde, in Warm Springs auftauchte und in einer namenlosen Praxis Hilfe suchte, wo sie doch mühelos die Dienste jedes Hochleistungspsychiaters der Welt in Anspruch nehmen konnte, von Wiener Freudianern bis zu Pharmakotherapeuten aus Manhattan. Daß sie in Lias Praxis erschienen war, war ein kleines Wunder, nicht ganz so unerklärlich und beunruhigend wie Kais Erscheinen eine Woche zuvor, aber immer noch außergewöhnlich genug, um Ungläubigkeit und Mißtrauen zu wecken. Lia erhob sich von ihrem Platz hinter dem Schreibtisch und ging in geringem Abstand von ihrer potentiellen Klientin auf den Hartholzdielen auf und ab. Ihrer potentiellen prominenten Klientin.
    »Miss Rinehart, was soll ich denn für Sie tun, und weshalb haben Sie mich dazu ausersehen, es zu versuchen?«
    »Herrgott, habe ich Sie nicht gebeten, mich beim Vornamen anzureden? Wenn Sie nicht einmal diese kleine Bitte erfüllen können, Dr. Bonner, dann sind Sie vielleicht

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