Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
krank, und da wäre ich mir egoistisch vorgekommen, wenn ich sie alleine gelassen hätte. In einem anderen Jahr hatte Arno keinen Urlaub bekommen, weil er niemanden gefunden hat, der ihn hätte vertreten können. Arno ist Altenpfleger im Seniorenheim. Ein anderes Mal hatte unser Sohn Dirk zwei Fußballspiele, bei denen er auf Arnos Anwesenheit bestand, und die waren genau in der einzigen Zeit, in der wir beide Urlaub hätten nehmen können. Ich bin als Behördensekretärin tätig, und da ist es auch nicht so einfach mit dem Urlaub. Na ja, und so gingen die Jahre dahin, und der Traum von der Afrikareise wurde immer mehr zum Traum. Das Geld für diese Reise hatten wir uns schon zusammengespart, das Keramik-Sparschwein in Form eines Elefanten steht im Wohnzimmerregal.
Wir hatten aber auch noch andere Träume, die leichter umzusetzen gewesen wären. Ein neues Kaffeeservice, eine Alpenüberquerung mit dem Deutschen Alpenverein, einen gemeinsamen Malkurs. Eine heruntergekommene Hütte in den Bergen kaufen und wieder herrichten. Einen Dritte-Welt-Laden aufmachen. Ja, und ich kann es ja sagen, weil das jetzt ohnehin nichts mehr wird und ich mich nicht mehr schämen muss, wir wollten mal zusammen in einen Swinger Club gehen. Davon habe ich immer so viel gelesen, und es hätte mich schon mal interessiert. Natürlich nur mit dem Arno zusa mm en.
Tja, und jetzt geht nichts mehr davon, denn ich bin unheilbar krank geworden. Wo ist bloß die Zeit hin, und was haben wir denn all die Jahre gemacht, in denen wir unsere Träume geträumt haben, statt sie zu leben? Ich könnte verzweifeln. Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, habe ich das Gefühl, nur auf diese Träume zurückzublicken. Dabei habe ich sicher auch Schönes erlebt. Aber im Moment weiß ich gar nicht so genau, was. Es fühlt sich im Rückblick verschwommen an, mein Leben, mit wenigen Höhepunkten. Unsere Hochzeit, die Geburt von Dirk, Arnos Ernennung zum Präsidenten im Schützenverein. Mehr fällt mir gerade nicht ein. Die Träume waren Höhepunkte in meinem Leben, und nun macht es mich wahnsinnig traurig, dass sie unverwirklicht bleiben müssen. Nur weil immer irgendwas dazwischenkam, oder weil ich es nicht angepackt habe. Ich hätte es mehr anpacken sollen, das Leben.
Ulrike Pötzsch, 53 Jahre, Brustkrebs
verstorben im Juli 201*
Das Schicksal eines Lebens
Wenn ich meinem Leben eine Überschrift geben würde, dann hieße sie » Das Schicksal eines Lebens«. Man kann sich im Leben ja nicht aussuchen, was einem passiert, man stolpert rein in eine Situation, und dann muss man sehen, wie man damit fertig wird. Aber man kann nicht sagen, ich will das und das machen, das klappt nicht. Das habe ich immer wieder erfahren. Ob das nun meine zwei Lungenentzündungen waren, wegen derer ich plötzlich ins Krankenhaus musste, oder dass ich eine Frau hatte, die mit achtundfünfzig Jahren an Krebs verstarb, das war alles Schicksal.
Auch im Beruf kam ich oft in Situationen, die unvorhersehbar waren. Ich war als Schreiner im Ladenbau tätig. Wir machten die Ladeneinrichtung von Cafés und Metzgereien. Die Theken vorne und die Regale hinten, wo die Metzgereien die Wurst hinhängen. Und manchmal, wenn wir irgendwo hinkamen, sagten die Besitzer, dass sie unbedingt am nächsten Tag den Laden aufmachen wollten. Dann mussten wir halt die ganze Nacht durcharbeiten. Aber daran hat man sich auch gewöhnt.
Doch einmal gab’s eine böse Sache, aber Gott, die ist vorbei. Ein Rechtsanwalt aus Köln rief bei mir in der Firma an und wollte mich sprechen. Er sagte, es tut mir leid, dass ich Sie anrufen muss, aber Ihre Tochter hat gesagt, dass ich mich bei Ihnen melden soll und nicht bei Ihrer Frau. Ihre Tochter hat Angst, der Mutter etwas zu sagen. Da musste ich meiner Frau beibringen, dass die Lena mit Drogen erwischt wurde und nun im Gefängnis saß. Das war immer so, wenn irgendwas war, ging das alles über mich. In der Beziehung war ich ein bisschen stärker als meine Frau und musste dann halt immer den Buckel hinhalten. Ich habe dann zu meiner Frau gesagt, horch, die Lena lassen wir nicht fallen, die ist unser Kind, da gibt’s nichts, wir müssen uns jetzt drum kümmern. Und das haben wir auch gemacht. Sie hat fast vier Monate in Köln im Gefängnis gesessen, und wir sind jede Woche hingefahren und haben Besuchszeit gemacht.
Vorwürfe, dass die Lena Heroin genommen hatte, habe ich mir nicht gemacht, da kann man sich auch gar keine Vorwürfe machen. Der Lena auch nicht, das ist
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