Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
Schicksal. Meine Frau hat gesagt, sag bloß nichts, gell! Lass sie in Ruhe, wir sind froh, dass sie jetzt so weit raus ist und dass sie jetzt nicht wieder was nimmt. Meine Frau und ich hatten auch gleich vereinbart, dass wir die Verwandtschaft und die ganze Nachbarschaft einweihen. Wir haben dann offen mit den Leuten geredet, die Lena ist drogensüchtig, und fertig. Denn das kann man nicht heimlich machen, das bringt gar nichts. Und so haben sie nichts gege n uns gesagt, und wir haben auch hintenrum nichts gehört.
Trotzdem das mit der Tochter so schlecht war, habe ich mich nie unterkriegen lassen im Leben. Man darf den Kopf nicht hängen lassen, man muss immer sehen, dass man weiterkommt, irgendwie. Ich meine, neben den Rückschlägen habe ich auch so viele gute Sachen erlebt. Nachher war ich Wanderführer von einer sechzig Mann starken Wandergruppe. Das habe ich gerne g emacht, alles Mögliche habe ich da zustande gebracht.
Die Kraft, um immer wieder reinzukommen ins Leben, habe ich mir selbst gegeben. Denn der Glaube hat für mich gar keine Rolle gespielt. Von daheim aus bin ich katholisch gewesen, und da habe ich das Religiöse halt so mitgemacht. Aber später war mir die Religion gar nichts mehr wert. Ich glaube auch nicht an ein Leben nach dem Tod. Wenn man stirbt, ist man fort, die Seele kommt da oben irgendwohin, und das ist dann unser Leben gewesen. Also, ich bin der Meinung, da gibt’s weiter nichts mehr.
Friedrich Köhler, 86 Jahre
War ich eine gute Mutter?
War ich eine gute Mutter? Das ist das Einzige, was mich jetzt beschäftigt. Diese Frage stelle ich mir die ganze Zeit, während ich hier zu Hause liege und nichts mehr tun kann. Bevor ich krebskrank wurde, war ich eine sehr aktive Frau, sehr umtriebig. Mein halbes Leben habe ich darauf Zeit verwendet, meinen beiden Kindern den Weg für ein Leben auf der Sonnenseite zu ebnen. Gerne hätte ich noch mehr Kinder gehabt, aber das sollte nicht sein. Drei Mal habe ich mein drittes Kind verloren. Es ist immer zwischen der zwölften und dreizehnten Schwangerschaftswoche abgegangen.
Für die Kindererziehung war meine Halbtagesstelle in der Krankenhausverwaltung gerade richtig. Morgens Schreibkram, nachmittags Kinderkram. Dazu gehörte natürlich vor allem, Lisa und Timo eine angemessene Bildung zu ermöglichen. Klavierunterricht, Sport in einem Verein, am Wochenende Landausflüge in den bayerischen Wäldern. In der Schule war ich stets bei den Hausaufgaben hinterher. Da bin ich nach wie vor der Meinung, dass man an dieser Stelle als Mutter oder Vater hinterher sein muss, von alleine passiert da so gut wie gar nichts. Ich halte auch nichts von diesem Montessori-Ansatz, dass man den Kindern jeweils nur das beibringen soll, was sie gerade lernen möchten. So geht das Leben nämlich gerade nicht. Als ob man im späteren Leben auch immer nur das machen könnte, worauf man gerade Lust hat. Das wissen wir doch eigentlich ganz genau, dass das Leben zu großen Teilen aus Disziplin besteht. Hoffentlich konnte ich euch das mitgeben, dann wäre ich schon ein wenig beruhigt.
Jetzt studiert ihr beide, darauf bin ich stolz! Meinen Mann hat das Ganze nie so interessiert, er sagt immer zu mir: » Lass doch laufen, Franzi. Du hast es ohnehin nicht in der Hand.« Ich weiß, lieber Werner, aber was ist, wenn unsere Kinder keine zufriedenen und im Großen und Ganzen ehrlichen, verantwortungsbewussten Menschen werden? Dann würde ich mich schuldig fühlen. Denn das habe ich doch sehr wohl in der Hand als Mutter. Dass ich das jetzt hier vom Bett aus nicht mehr steuern kann, das macht mich ganz krank. Und dass ich möglicherweise nicht mehr miterleben soll, was aus Lisa und Timo wird, das möchte ich mir gar nicht vorstellen. Der Gedanke zu sterben, der ist mir einfach nicht geheuer. Loslassen vom Leben meiner Kinder, das kann ich nicht, und ich will es auch nicht. Loslassen von meinem eigenen Leben? Meine Kinder sind mein Leben.
Daher habe ich auch wenige Freundinnen oder Freunde. Denn über die Kindererziehungsfrage, darüber können selbst die besten Freundschaften zerbrechen. Mir ist genau das passiert. Es war die schmerzlichste Erfahrung in meinem Leben. Meine allerbeste Freundin Ina habe ich im Skilager in Ischgl in Österreich kennengelernt. Wir waren damals beide zwölf Jahre alt und gingen zwar in dieselbe Schule, aber in verschiedene Klassen. Das war in einem kleinen Dorf in der Nähe von Rosenheim. Wir waren uns in vielem einig, auch bei der Wahl unserer Männer,
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