Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
selber mal Kinder haben solltest, dann wirst du sehen: Alles kann passieren, alles kann aus dem Ruder gehen. Von einem Tag auf den anderen. Ohne, dass man es merkt. Oder besser gesagt: merken möchte. Im nächsten Leben mache ich es besser.
Richard Dennett, 58 Jahre, Bauchspeicheldrüsenkrebs
verstorben im Mai 201*
Entweder die Liebe ist gleich da oder nie
Wenn ich jetzt so zurückdenke, habe ich nie die Männer bekommen, die ich wollte. Und die, die ich hätte haben können, wollte ich nicht. Das mit der Liebe ist schon ein komisches Spiel. Ich wollte nie einsehen, dass es dabei um Kräftemessen geht. Nicht nur um Gefühle. Derjenige, der mehr liebt, hat das Nachsehen. Erst Mitte dreißig habe ich meine große Liebe kennengelernt. Robert hieß er. Das war während meiner Ausbildung zur Arzthelferin. Er war Patient in unserer Praxis, und ich habe schnell gemerkt, dass er öfter kam, als es für seine Gesundheit notwendig gewesen wäre. Er wollte mich sehen. Ich habe ihm dann Blut abgenommen, und dabei sind wir ins Gespräch gekommen. Er war ganz offensichtlich interessiert an mir, stellte mir Fragen, was ich über das Leben denke, was ich mal werden möchte, ob ich Kinder haben möchte. Und ich dachte daraufhin: Das ist er. Er interessiert sich wirklich für mich.
Am Anfang unserer Liebesbeziehung war es alles so schön. Wir waren beide gleich stark verliebt ineinander, wurden schnell vertraut. Dann musste er auf eine längere Geschäftsreise gehen. Er war damals Pharmavertreter. Und nachdem er wiederkam, hatte er plötzlich nur noch selten Zeit für mich. Obwohl er in seinen Mails immer die schönsten Liebeserklärungen geschrieben hat. Aber nach seiner Rückkehr ging immer etwas Berufliches vor. Er hat auch nie einen Termin verschoben, sodass wir uns hätten sehen können. Er hat auch nie gefragt, wann wir uns sehen können. Immer musste ich nach einem neuen Treffen fragen. Dann hat die Entfremdung eingesetzt. Vertrautheit und Nähe brauchen Nahrung, und diese Nahrung können nicht geschriebene oder gesprochene Worte sein. Diese Nahrung besteht aus Berührung, Blicken, Gesten und gemeinsamen Momenten. Man kann sie nur persönlich füttern, die Liebe. Als ich ihm das gesagt habe, hat er dann nur gemeint, er möchte frei bleiben.
Also wurde wieder nichts aus meiner Sehnsucht nach Liebe. Es hat lange gebraucht, bis ich über Robert hinweggekommen bin. Meine Freundin Laura hat immer gesagt, dass man sich nicht ohne Grund bestimmte Männer aussucht. Und nur, wenn ich mit meinem Muster brechen würde, und mir nicht mehr diese unnahbaren Typen ausgucken würde, werde ich eines Tages glücklich. Dieser Tag ist leider bis heute nicht gekommen, und jetzt ist es zu spät. Wer weiß, vielleicht hätte ich diesen Kerlen eine Chance geben sollen, die ich immer schon am Anfang abgewiesen habe, weil sie zu unattraktiv, zu langweilig oder zu anders waren. Da war Frank, ein Schulfreund. Wir haben zusammen die mittlere Reife gemacht. Er war immer nachmittags da, hat alles für mich gemacht, von den Hausaufgaben über das Ausmisten des Pferdestalls auf meinem elterlichen Reiterhof bis zur Neubepflanzung meines Balkons. So ein typischer Fall von einem Mann, in den sich eine Frau nicht verliebt, weil er zu nett ist. Weil er nie einer Fliege etwas antun würde. Er hat mir nie gesagt, dass er mich mag, aber ich wusste es. Denn warum sonst wäre er bereit gewesen, das alles für mich zu tun?
Als ich mit Ende dreißig immer noch keinen Mann gefunden hatte, habe ich kurz überlegt, ob ich auf Frank zugehen und ihn fragen sollte, ob wir nicht einfach den Rest des Lebens gemeinsam verbringen sollen. In platonischer Wohngemeinschaft. Das wäre doch immer noch besser, als alleine zu bleiben. Irgendwie habe ich es mich dann aber doch nicht getraut, denn bei längerem Nachdenken hatte ich das Gefühl, dass ich ihn dann ausnutzen würde. Denn verliebt war ich nie in ihn, und so was entwickelt sich auch nicht. Entweder die Liebe ist gleich da oder nie.
Sonst möchte ich nichts erzählen aus meinem Leben, weil mir nichts so wichtig ist wie die Liebe. Ich war zeit meines Lebens auf der Suche nach ihr. Habe unzählige Liebesromane gelesen, Liebesfilme gesehen, Partnerschaftseignungstests in Zeitschriften gemacht, ernst gemeinte Bildzuschriften losgeschickt und natürlich auch Onlinedating gemacht, als das Internet kam. Tja, es hat wohl nicht sollen sein, mit mir und der Liebe. Schade.
Karin Festlich, 67 Jahre, Tumoren
verstorben im April
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