Dieser Mensch war ich - -: Nachrufe auf das eigene Leben (German Edition)
201*
Ich bin immer schon ein romantischer Mensch gewesen und auf der Suche n ach meiner wahren Best immung
Ich arbeite in einem Kaufhaus in der Schmuckabteilung. Erst war ich bei Karstadt, und als die zugemacht haben, bin ich zu Galeria Kaufhof gewechselt. Die gibt es ja hoffentlich noch eine Weile. Manchmal gehe ich vertretungsweise auch rüber zu den Uhren. Die Schmuckabteilung ist in den Kaufhäusern ja immer im Erdgeschoss, und das mag ich an meinem Job. Denn dann kann ich den ganzen Tag die Leute beobachten, die rein- und rausgehen. Ich mache immer so ein Spiel und frage mich, was die wohl kaufen werden. Beim Schmuck ist mal mehr, mal weniger los. Meistens natürlich Frauen, die etwas für eine Party oder als Konfirmationsgeschenk brauchen. Zuerst frage ich immer: » Wie viel Geld wollen Sie ausgeben?«, denn wenn ich das weiß, dann weiß ich auch gleich, was ich anbieten kann. Einmal war ein Mann da, der eine echte Perlenkette für seine neue Freundin kaufen wollte. Sie war mitgekommen, und die waren total verliebt. Er war bereit, jede Summe für diese Kette auszugeben. Damit die Freundin wüsste, wie viel sie ihm wert ist. Da bin ich ganz neidisch geworden. Mir hat nie jemand ein Geschenk gemacht, das in seine Geldbörse ein Loch gerissen hätte. Obwohl ich dieses Loch durch meine Liebe hätte auffüllen können.
Ich bin immer schon ein romantischer Mensch gewesen. Und auf der Suche nach meiner wahren Bestimmung. Die habe ich nämlich bei meinen Eltern nicht gefunden, und bei Freunden auch nicht. Lange Jahre bin ich zu verschiedenen Kartenlegerinnen gegangen. Das hat aber dann nie gestimmt, was die mir vorausgesagt haben. Zum Beispiel, dass ich einen Autounfall haben würde. Oder dass ich einen Knoten in der Brust bekommen würde. Auf beides kann ich natürlich verzichten, aber darum geht es ja nicht. Es geht darum, ob es stimmt, was die sagen. Ich bin sehr esoterisch drauf. In einer Anzeige habe ich dann von den Engeln gelesen. Dass die mir Antwort geben würden. Seitdem glaube ich an spirituelle Beratung mit Medium. Dafür gebe ich auch das meiste Geld aus. Petra, meine Freundin, mag das gar nicht. Ihr ist das unheimlich, sie sagt immer, das wäre doch totaler Humbug und nichts anderes als Geldschneiderei. Deswegen hätten wir uns beinahe auch schon mal getrennt. Weil sie mich nicht für voll nimmt, was die Engel anbelangt, und ich mich deswegen verletzt gefühlt habe. Und weil sie sich von mir betrogen gefühlt hat, weil ich ihr das jahrelang verschwiegen habe. Ich hatte nämlich Angst, dass sie mich auslachen würde. Und dann hat sie eines Tages ein Buch unter meinem Bett gefunden. Es heißt » Der Engel-Ratgeber. In jeder Lebenslage Schutz, Beistand und Trost durch die himmlischen Wesen finden«. Ich werde nie vergessen, wie sie es mir unter die Nase gehalten hat, als ich von der Arbeit nach Hause kam. Sag mal, hast du sie noch alle?, war ihr Kommentar.
Unsere Liebe ist aber so stark, dass sie das ausgehalten hat. Und solange die Engel mir sagen würden, dass sie die Richtige für mich ist, wäre es ja noch akzeptabel, sagt Petra. Wenn die Engel mich aber auf eine andere Fährte bringen würden, dann könnte sie sich schon eine Trennung vorstellen. Das sagt sie auch. Na ja, wir werden ja sehen.
Mein Medium Sarah kam mich jetzt schon mehrmals im Krankenhaus besuchen. Hier liege ich seit einiger Zeit mit Krebs. Das haben mir die Engel nicht gesagt, zumindest nicht so direkt. Das soll also meine wahre Bestimmung sein. A m Anfang konnte ich es nicht glauben, aber man gewöhnt sich an den Gedanken, Krebs zu haben. Über das Sterben möchte ich aber lieber nicht nachdenken. Vielleicht komme ich ja bald wieder hier raus und werde wieder gesund. Obwohl der Arzt mir da nicht viel Hoffnung macht. Dafür tun das die Engel. A uf ihre Hilfe kann ich nämlich jederzeit hoffen. Diese Erfahrung habe ich ja schon öfters gemacht. Ich sag’s doch, Petra. Aber was auch immer passiert, ich liebe dich.
Anja Schneider, 51 Jahre
verstorben im April 201*
Wie sehr habe ich mir die Anerkennung m eines Vaters gewünscht
Als ich mich noch bewegen konnte, bin ich jeden Freitagmorgen an das Grab meines Vaters gegangen. Freitagmorgen ist eine gute Zeit für einen Friedhofsbesuch, weil dann so gut wie keine Leute da sind. Wahrscheinlich machen die alle ihre Besorgungen fürs Wochenende, gehen zum Friseur und danach auf den Markt. Man sieht nur noch Rentner auf dem Friedhof, Kinder habe ich in all den Jahren nie gesehen.
Weitere Kostenlose Bücher