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Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)

Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)

Titel: Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Amend , Daniel Meyer
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gehen runter, von 87 ist er jetzt schon im kritischen Bereich bei 84, und ich krieg’s nicht hoch. Er hängt schon seit fünfzehn Minuten an der Flasche, aber es hilft einfach nicht.«
    »Na gut, dann müssen wir das wieder kontrollieren«, hörte ich die Stimme sagen. »Wählen Sie bitte die 112.«
    Das Monster schwebte nun über mir, breitete seine gewaltigen Klauen aus, und ich verlor das Bewusstsein. Mein Kreislauf versagte. Mama schüttelte mich, aber ich war richtig tot, glaube ich. Für einen kurzen Moment. Der Notarzt brauchte sieben Anläufe, um mir einen Zugang zu legen, aber irgendwann schaffte er es und spritzte mir ein Anti-Schock-Mittel, wovon sieben Elefanten high geworden wären. Josi hätte das gut gefallen. Ich kam noch im Krankenwagen wieder zu mir. Überall hingen Schläuche aus meinem Körper, und die Schmerzen waren kaum auszuhalten, aber in dem Moment dachte ich an etwas viel Wichtigeres: an meine geliebte Zwillingsschwester.
    Natasha starb kurz nach unserer Geburt. Ihr geht es nicht gut im Himmel. Ich habe sie dort gesehen. Sie braucht mich. Der Rest war schön im Himmel, deswegen habe ich auch keine Angst mehr vor dem Tod. Ich meine, natürlich habe ich Angst, aber ich fürchte mich nicht mehr, so wie man sich fürchtet, wenn man alleine durch einen dunklen Wald laufen muss. Ich lag in diesem Krankenwagen und sagte mir: Daniel, du kannst jetzt noch nicht sterben, obwohl ich es so gerne würde, um endlich für meine kleine Schwester da zu sein. Denn das machen große Brüder so. Als ich Mama sah, wie sie mit ganz vielen Tränen in den Augen neben mir saß, flüsterte ich ihr trotzdem zu – so, dass die Rettungssanitäter es nicht hören konnten: »Mama, sie sollen mir keine Medikamente mehr geben. Ich will nicht mehr. Sag ihnen einfach, dass sie mich gehen lassen sollen, ja?«
    Da weinte sie noch mehr als vorher, und ich verlor mich wieder im Traumland. Nein, meine Mama war noch nicht so weit. Sie würde es jetzt noch nicht verkraften, ihren Sohn zu verlieren. Das spürte ich. Während ich durch den grauen Nebelschleier schwamm, schickte ich ein Gebet in den Himmel: Bitte, lieber Gott, gib meiner Mama mehr Zeit. Sie braucht einfach nur mehr Zeit.
    »Eines Tages werde ich nicht mehr bei dir sein können«, sagte ich zu ihr, als wir das Krankenhaus erreicht hatten. »Aber immer wenn es regnet, dann sind es meine Tränen, die ich dir schicke, weil ich dich so vermisse. Und wenn die Sonne scheint, dann ist das die Wärme, die ich dir schicke, die auf deiner Haut kribbelt. Und wann immer du einen Regenbogen siehst, dann spiele ich gerade mit meiner Schwester im Garten vom Paradies. Und ab und zu, wenn der Himmel so richtig schön rot ist, wenn die Sonne untergeht, dann sitze ich mit Oma und Natasha auf unserer Lieblingswolke, wir trinken Tee und reden über dich, weil wir dich für immer lieb haben.«
    Dann wurde ich ins Schockcenter gebracht, ohne Mama, und notoperiert. Arme Mama! Die Ärzte rieten ihr, in die Cafeteria zu gehen und einen starken Kaffee zu trinken. Sie rauchte eine Zigarette nach der anderen und wartete viele Stunden, bis ein Arzt sich neben sie setzte und sagte: »Er kämpft gerade um sein Leben.« Es stimmte, ich kämpfte für meine Mama.
    Ich überlebte die Operation und musste viele Wochen im Krankenhaus bleiben. Mama kam mich jeden Tag besuchen. Wir gingen oft zusammen in den Raum der Stille, um uns beim lieben Gott zu bedanken. Dort gibt es ein Buch, in das man seine Gedanken schreiben kann. Meine Mama schrieb:
    Lieber Gott,
    bitte gib uns die Kraft, immer da zu sein für meinen geliebten Sohn Daniel. Gib ihm die Kraft, gesund zu werden. Es ist nicht das Gleiche mehr zu Hause ohne ihn. Die Engel im Himmel schauen auf ihn und geben ihm Kraft. Danke, dass Du immer da bist für uns. Segne alle Menschen, dass sie bald gesund werden und nicht mehr leiden müssen. Amen.
     
    Martin + Debbie
    Zwei Tage später redete ich mit der Krankenhauspastorin im Raum der Stille und entdeckte beim Blättern zufällig Mamas Zeilen. Ich nahm den Kugelschreiber, der neben dem Buch lag und schrieb auch etwas hinein:
    Lieber Gott,
    ich danke Dir, dass Du für mich da bist und dass Du mir immer Kraft bringst. Vielen Dank, dass Du den Brief meiner Mutter gelesen hast. Da war ich glücklich. Lass die Lichter für mich brennen. Bitte pass auf meine Schwester auf und dass ich den Katheter überstehe.
     
    Viele liebe Grüße
    Dein Daniel
    Vor der Katheteruntersuchung hatte ich nämlich große Angst,

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