Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
dorthin? Ich kenne Einkaufswagen nur aus Supermärkten. Lars legte seinen Arm um mich und sagte: »Tja, Daniel. Willkommen in Berlin. Hier ist alles ein bisschen anders. Auch die Leute sind anders. Wenn ihnen langweilig ist, schmeißen sie halt Einkaufswagen aufs Eis oder Turnschuhe in Baumkronen.«
Er zeigte nach oben und tatsächlich: Ein Baum ohne Blätter, dafür mit ganz vielen Schuhen, die an ihren Schnürsenkeln zusammengebunden waren. Verrückt. Jetzt bekam ich doch etwas Angst. Lars nahm meinen Koffer, die Tasche mit dem Sauerstoff und meinen Rucksack und schloss die Eingangstür auf.
»In welchem Stockwerk wohnst du?«, fragte ich.
»Im vierten.«
»Das schaffe ich nicht«, sagte ich.
»Ich weiß«, sagte Lars. »Pass auf, ich bringe schnell deinen Kram nach oben, dann komme ich zurück und trage dich.«
»Okay.«
Ich umklammerte das Holzgeländer und schloss meine Augen. Das Licht funktionierte nicht und alleine in einem fremden Hauseingang zu warten, war sehr komisch für mich, weil ich das noch nie gemacht hatte. Ich wollte kein Angsthase sein und kniff die Backen zusammen. Was Anna wohl gerade machte? Ich dachte noch ein bisschen an sie, aber dann stand Lars auch schon wieder vor mir und nahm mich Huckepack. Und ich war in Sicherheit.
Seine Wohnung war kleiner als unsere, dafür gab es eine Badewanne, was mir gut gefiel. Nachdem ich eine Runde durch alle Zimmer gemacht hatte, setzte ich mich auf sein Bett und klebte ein paar Bilder in mein zauberhaftes Disney-Weihnachtsalbum. Das war eine gute Ablenkung, weil ich nämlich genau wusste, was ich bei dieser Arbeit zu tun hatte – suchen, einkleben, keine Überraschungen. Das war wichtig für meinen Kopf.
»Ich würde auch gerne in Berlin wohnen«, sagte ich zu Lars, der jetzt neben mir saß.
»Weißt du was?«
»Hmm?«
»Wir ruhen uns jetzt eine halbe Stunde aus und dann drehen wir eine Runde durch den Kiez. Vielleicht treffen wir ja jemanden, den wir kennen, von Berlin – Tag & Nacht , wer weiß?«
»Am liebsten mag ich Fabrizio, Joe und JJ. Aber Ole, nee, den nicht so.«
»Ist der blöd, oder was?«
»Ja, der bekommt kein Mädel ab«, lachte ich.
»Nicht so wie du, ne?«, grinste Lars mich an, und ich begann, die fehlenden Stellen in meinem Album zu zählen. »Eins, zwei, drei, vier, fünf …«
Ich brauchte nur noch 81 Sticker, dann war es voll. Das würde ich schaffen. Dann zählte ich mein Geld. Ich hatte 24 Euro dabei. In Lars’ Bett schlief eine Gans. Ich fragte Lars nach ihrem Namen und er sagte: »Lanti.«
»Ist sie ganz alleine?«
»Na ja, ich bin ja auch noch da«, sagte Lars, aber er kannte anscheinend die Regeln nicht, und ich hatte keine Lust, sie ihm zu erklären. Ich holte Muh aus meinem Koffer und setzte sie neben Lanti, damit die kleine Gans nicht mehr alleine war. Und Muh freute sich auch, eine neue Freundin zu haben. Die beiden vertrugen sich, und ich fragte Lars, ob ich ihm einen Espresso zubereiten dürfe. Er nickte.
»Normalerweise lasse ich niemanden auch nur in die Nähe meiner Espressomaschine«, lachte Lars, »aber bei dir mache ich eine Ausnahme.«
»Weil ich dein Bruder bin, stimmt’s?«
»Ganz genau.«
Dann erklärte er mir alles. Wie man die Bohnen mahlt, wie viel man von dem Kaffeepulver in dieses Ding füllt, das man Siebträger nennt, wie viele Sekunden man heißes Wasser hindurchlaufen lässt und noch vieles mehr. Das war richtig interessant. Ich wollte gleich Mama anrufen und ihr davon erzählen, aber dann dachte ich: Vielleicht schaffe ich es auch mal ohne sie. Auch ich muss eines Tages erwachsen werden. Und jetzt ist ein guter Moment, um damit anzufangen.
Ich ging zurück ins Wohnzimmer, setzte mich aufs Bett und las mir die Punkte auf unserer geheimen Wunschliste durch. Ich hatte sie extra mit nach Berlin mitgenommen, weil ich hoffte, der ein oder andere Wunsch würde vielleicht in Erfüllung gehen. Dann könnte ich diesen Punkt sofort durchstreichen, um nicht durcheinander zu kommen. Mir wurde langweilig. Lars saß noch in der Küche und trank seinen Espresso.
»Schmeckt’s?«, rief ich ihm zu.
»Das hast du super gemacht«, rief er zurück.
Ich merkte, dass ich Nummer zwei machen musste, weil es drückte.
»Bruderherz?«, rief ich wieder.
»Ja?«, rief er wieder zurück.
»Muss aufs Klo, Nummer zwei machen.«
Lars lachte und sagte: »Na, vielen Dank für die Info.«
Ich blieb im Flur stehen, steckte meinen Kopf zu ihm in die Küche und sagte: »Okay.«
Dann machte ich Nummer
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