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Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)

Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)

Titel: Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lars Amend , Daniel Meyer
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wir redeten über Mädchen, Tabaluga, Berlin – Tag & Nacht und alles Mögliche. Melli war richtig cool, obwohl sie keine blonden Haare hatte. Trotzdem tauschten wir unsere Handynummern aus.
    Dann holten wir Mama im Hotel ab und fuhren weiter zum Hauptbahnhof. Lars stellte unsere Koffer in den ICE, und ich hielt ihn kurz fest, aber Mama sagte, ich solle ihn loslassen, nicht dass die Türen noch zugingen. Ich hätte nichts dagegen gehabt. Wir drückten uns, und ich sagte: »Danke, dass du für mich da bist. Danke auch wegen Berlin und so. Hab dich lieb.«
    Der Zug setzte sich in Bewegung. Lars rannte noch eine Weile auf dem Bahnsteig mit, und wir winkten uns gegenseitig zu, aber dann ging Lars die Puste aus, und wir verloren uns aus den Augen. Als wir auf unseren Plätzen saßen, begann ich zu erzählen. Mama war schon ganz gespannt. »Lars hat mir erlaubt, in seinem Bett zu essen«, fing ich an, und Mama runzelte sofort mit der Stirn. Dann nahm sie mich in den Arm und gab mir einen Kuss. Ich dachte an Muh. Ich hatte sie bei Lars gelassen, damit er nicht so alleine ist und immer an mich denkt, wenn er sie sieht. Als ich meinen Koffer packte, holte er aus seinem Schrank einen Stapel weißer Calvin-Klein-Shirts heraus, die ihm zu klein waren. Mir passten sie perfekt, weswegen er sie mir schenkte. Zu Hause in Hamburg zeigte ich sie Mama. Sie rochen noch nach Lars.
    »Mama«, sagte ich und kuschelte mich an sie. »Die darfst du niemals nie in die Waschmaschine stecken. Auch nicht aus Versehen. Genau wie den Pullover und das T-Shirt, die ich in der WG getragen habe, und mein blaues Hemd, das immer noch nach Mella riecht. Nie mehr waschen. Nie, nie, nie.«

32
    In der Weihnachtszeit ein Vegetarier zu sein, ist ganz schön schwer. Vor allem, wenn man gebratenen Speck so sehr liebt, wie ich es tue. Wie es duftet, wenn er in der Pfanne vor sich hin bruzzelt – so lecker, aber manchmal muss man eben in den sauren Apfel beißen. Das wirkliche Problem war die Weihnachtsgans. Nachdem ich Lanti kennengelernt hatte, und Muh und sie Freunde geworden waren, konnte ich doch an Heiligabend keine Gans mehr essen. Eine heikle Situation. Vielleicht könnte Mama eine Gans besorgen, die eines natürlichen Todes gestorben war, überlegte ich und fand diese Lösung ziemlich gut. Eine Gans würde durch die Luft fliegen, stellte ich mir vor, und ganz plötzlich an einem Gänseherzinfarkt sterben und zu Boden fallen. Ob man sie dann aufisst oder beerdigt, würde keinen Unterschied mehr machen, weil sie ja schon tot war und ein gutes Leben hatte. Zur Sicherheit rief ich Lars an, um zu fragen, was er davon hielt. Er lachte über meine Geschichte, aber nicht so herzlich wie sonst. Lars war nämlich krank. Er hatte sich wieder eine Grippe eingefangen und hustete wie ein Weltmeister. Er tat mir leid, weil morgen doch Weihnachten war, und ich nicht wollte, dass es meinem Bruder schlechtging. Er konnte auch nicht laut sprechen, weil er im Zug saß, um zu seinem Papa zu fahren. Ich fragte ihn, ob sein Papa ein lieber Papa war, und er sagte »ja«. Das beruhigte mich ein wenig.
    Mama erklärte mir, dass Gänse im Flug keinen Gänseherzinfarkt bekommen würden. Deswegen gab es Kartoffelsalat und Würstchen. Ich war froh darüber, denn so brauchte ich kein schlechtes Gewissen wegen Lanti zu haben. Als Lars anrief, um uns frohe Weihnachten zu wünschen, klang er gar nicht gut, sehr krank. Ich sagte, er solle bitte schnell zum Arzt gehen und eine Blutspiegelung machen lassen. Als Antwort hustete Lars sehr laut ins Telefon und musste ins Waschbecken spucken. Ich wusste genau, wie er sich fühlte. Mein Bauch begann sich zu drehen, weil ich Angst bekam. Angst, dass ich ihn angesteckt haben könnte. Lars beruhigte mich sofort, dass schon alles wieder gut werden würde. Zuerst glaubte ich ihm, aber dann sagte er »Ja, ja«, und ich glaubte ihm nicht mehr. Ich wusste genau, was das zu bedeuten hatte, nämlich: »Leck mich am Arsch!« Ich weiß, wovon ich spreche. Ich sage es selbst zu Mama. Fast jeden Tag. Kurz vor’m Schlafengehen schrieb ich ihm noch eine SMS. Er antwortete nicht. Ich überlegte, ob man an einer Grippe sterben konnte, aber Lars hatte ja kein krankes Herz, wie ich, also hieß die Antwort: Nein! Ich griff nach Josis Rüssel, kuschelte mich ein und begann zu träumen.

    Es gibt zwei ganz besondere Tage in unserem Leben, hatte Lars einmal gesagt. Der Tag, an dem wir geboren werden, und der Tag, an dem wir erkennen, warum. Ich glaubte ihm, auch

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