Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
klopfen, in sein Zimmer. Er lag auf meinem alten Bett und weinte. Ich blieb erschrocken stehen und fragte ihn, was los sei. Lars sagte, dass es nur seine Katzenallergie sei. Er schwindelte mich an, das konnte ich sofort erkennen. Mit Rocky und Sina hatten seine rote Augen nichts zu tun. Ich setzte mich zu ihm aufs Bett, so wie er es sonst bei mir immer machte, und drückte ihn so fest ich konnte.
»Du bist doch mein Schutzengel«, sagte ich. »Und Schutzengel dürfen nicht traurig sein. Bitte sei nicht mehr traurig. Versprich es mir!«
»Ich verspreche es«, wisperte Lars.
Weil er versprach, nicht mehr traurig zu sein, ließ ich ihn los und ging ins Wohnzimmer zurück. Mama und Papa erzählte ich aber nichts von seinen roten Augen. Das blieb unser Geheimnis.
Es dauerte nicht lange, und Lars kam mit einem großen Karton in den Händen aus seinem Zimmer. Seine Augen waren wieder braun. Er sah trotzdem noch traurig aus. Ich musste mir dringend überlegen, wie ich seine Traurigkeit wegzaubern könnte, aber wegen des Kartons, den er vor meinen Füßen abgestellt hatte, schaffte ich es nicht, mich auf zwei Sachen gleichzeitig zu konzentrieren.
»Dein nächstes Geschenk«, grinste er.
Mama und Papa guckten gespannt vom Sofa rüber. Ich setzte Sina auf den Boden und riss die Verpackung ab. Hoffentlich erwarten sie jetzt nicht, dass ich vor Freude in die Luft springe, dachte ich. Meine traurigen Gedanken ließen sich einfach nicht abstellen. Ich drückte ganz fest meine Augen zu, aber als ich sie wieder öffnete, waren sie immer noch da. Dann hielt ich eine braune Jacke mit Fellkapuze in meinen Händen.
»Dir ist doch immer so kalt, wenn du morgens in die Schule gehst«, hörte ich Lars’ Stimme. »Zwei Freunde von mir, Elöd und Nicole, betreiben einen Outdoor-Store, und als sie von dir hörten, schickten sie mir sofort ein Päckchen für dich. Ich soll dir ganz liebe Grüße bestellen.«
In dem Karton lag sogar eine Geburtstagskarte, auf der mein Name stand. Noch nie in meinem Leben hatte ich so ein tolles Geschenk von Menschen bekommen, die ich gar nicht kannte. Warum machten sie das? Mama gab mir ein Zeichen, ich solle die Jacke anprobieren. Ich sah damit aus wie ein Eskimo. Das war gut, da Eskimos nicht frieren, und ich wollte auch nicht mehr frieren. Ich bedankte mich artig und lief zum Gedankensortieren schnell in mein Zimmer. Auf meinem Schreibtisch herrschte ein wildes Durcheinander, aber ich durfte wegen Lars’ Traurigkeit keine Zeit verlieren. Ich schob die Flasche mit Ginger Ale und die beiden angebrochenen Chipstüten zur Seite, legte meinen Kopf auf den Tisch und überlegte, was mir, wäre ich an seiner Stelle, jetzt gefallen würde. Aus den Augenwinkeln entdeckte ich verschwommen meine Einkaufstüte von Lidl. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, was ich gekauft hatte, aber nachdem ich nachgesehen hatte, rannte ich mit dem Inhalt in Lars’ Zimmer. Er saß auf seinem Bett. Ich versteckte meine Hände hinter dem Rücken, damit er meine Überraschung noch nicht sehen konnte. Ich war so aufgeregt, dass ein Pups aus meinem Popo kam.
Lars lachte, und ich sagte: »Du musst die Augen zumachen! Eine Überraschung ist erst dann eine Überraschung, wenn man vorher die Augen geschlossen hatte.«
»Meine Augen sind doch zu«, sagte Lars.
Ich überprüfte es. Sie waren wirklich zu. Ich ließ meine Überraschung in seinen Koffer fallen und setzte mich neben ihn aufs Bett.
»Du kannst sie jetzt aufmachen«, grinste ich. »Guck mal da unten!«
»Oh, krass. Das sind ja Gummibärchen!«
»Ja.«
»Und auch noch meine Lieblingsgummibärchen.«
»Ja.«
»Saure Pommes und Happy Cola.«
»Ja.«
»Sind die alle für mich?«
»Ja, die habe ich von meinem Geld bezahlt.«
»Von deinem Taschengeld?«
»Von meinem Geburtstagsgeld.«
»Ahhh, danke schön«, lächelte Lars.
Ich lächelte auch. Dann drückten wir uns. Lars sah nicht mehr traurig aus. Und mir fiel ein Stein vom Herzen.
»Die können wir nachher futtern, wenn wir Berlin – Tag & Nacht gucken«, schlug Lars vor, aber dann sagte er gleich hinterher: »Nee, wir dürfen doch vor dem Abendessen keine Süßigkeiten essen. Sonst kriegen wir Ärger von deiner Mutti. Außer wir machen es heimlich.«
Ich sagte: »Oder wir gehen heute Abend irgendwohin.«
»Männerabend?«
»Ja!«
»Saufen bis zum Umfallen?«
»Jaaaa!«
Genau das wollte ich machen. Nichts anderes. In einer Kneipe sitzen, Alkohol trinken und mit Mädchen flirten. Ich stellte mir alles genau
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