Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
andere blödelten einfach nur herum, warfen Zeug durch die Gegend oder rauchten. Ich werde immer traurig, wenn ich so etwas sehe. Obwohl mein Herz in diesen Momenten leidet, kann ich nicht aufhören hinzuschauen. Ich freute mich für die jungen Leute, auch wenn ich neidisch auf sie war. Ich würde das niemals zugeben, aber ich wünschte mir schon, ich könnte nur einmal fühlen, was sie fühlen: Freunde in meinem Alter zu haben, die mit mir durch dick und dünn gehen, die Freiheit zu besitzen, alles machen zu können, nicht krank zu sein, sondern cool, so lange mit einem Mädchen Hand in Hand durch die Stadt zu rennen, bis uns der Atem wegbleibt und wir erschöpft auf einer Wiese im Park in unseren Armen liegen und die Schmetterlinge in unserm Bauch fühlen. Ich will ja gar nicht für immer so sein wie sie. Nur für einen Moment. Nur für eine Nacht. Ganz kurz.
Mario musste irgendwann gehen, weil er mit seiner tollen Freundin noch auf einer Geburtstagsparty eingeladen war. Ich fragte ihn, ob er später mit ihr fucky fucky machen würde, aber er lachte nur und zwinkerte mit dem Auge. Wir besorgten uns am Bahnhof noch etwas zu trinken und eine Tüte Chips. Dann setzten wir Mario ab, und ich wünschte ihm noch viel Spaß, vor allem mit seiner Freundin. Er wusste schon, wie ich das meinte.
»Ich mag Mario«, sagte ich zu Lars. Er legte seinen Arm um meine Schulter. Wir fuhren langsam durch die belebten Straßen des Schanzenviertels. Die Laternen leuchteten golden, der Himmel war schwarz wie die Nacht und mein Kopf füllte sich mit Sternenstaub. Ich schaltete die Musik aus, um besser träumen zu können. Lars fuhr in Richtung Hafen, und ich stellte mir vor, dass jeder Stern in meinen Gedanken ein kleiner Engel sei, ein Schutzengel, der auf uns beide aufpasste. Was bringt es denn, etwas Wunderbares zu erleben, wenn man niemanden hat, dem man davon erzählen kann? Ich habe Lars, dafür bin ich dem lieben Gott auf alle Zeiten dankbar, aber wie lange wird er bei mir bleiben? Jung sein kann man nicht alleine. Das geht nicht. Jung sein bedeutet zu teilen. Ich möchte mich so gerne verlieben, in ein Mädchen, das mich ebenso zurückliebt, obwohl ich so bin, wie ich bin. Ich bin doch erst fünfzehn. Jetzt sollte die schönste Zeit meines Lebens beginnen: Mädchen, Partys, Freunde … Ich kenne das nicht. Ich werde nur jeden Tag gefragt: Daniel, wie geht es dir?
Ich konnte das Meer zwar noch nicht sehen, aber die großen Scheinwerfer des Hafens spiegelten sich im Wasser und strahlten in den Himmel hoch, so dass es aussah, also ob er glühen würde. Ich dachte plötzlich an Alexander, den Sohn einer Freundin von Mama. Er hatte einen Herzfehler, so wie ich, und wurde nur ein Jahr alt. Die schönen Augenblicke zwischen uns tauchten vor meinen Augen auf, und ich lächelte, weil ich ihn immer so gerne in meinen Armen hielt. Er war so süß. Sein Köpfchen so klein und weich. Dann musste er ins Krankenhaus. Die Ärzte beruhigten seine Mama, sagten, dass alles gut werden würde und sie sich keine Sorgen machen müsse. Fünf Stunden später war er tot. Zu meiner Mama sagen die Ärzte diesen Satz auch jedes Mal: Alles wird gut. Ich habe dazu nur eine Gegenfrage: Wann denn?
Lars parkte auf einer kleinen Anhöhe, aber keiner von uns hatte große Lust auszusteigen. Wie ließen die Scheiben runter, blieben im Auto sitzen und hörten dem Wasser beim Wellenschlagen zu. Nach einer Ewigkeit drehte ich mich zu Lars.
»Darf ich dir eine Frage stellen?«
»Immer.«
»Was glaubst du, ist das Wichtigste im Leben?«
»Puh, das ist schwer zu beantworten.«
»Weißt du es auch nicht?«
»Hmm, ich würde sagen: Am Ende zählt nur die Liebe. Du könntest auf alles verzichten, auf teure Autos, Geld, schicke Klamotten und so, aber ohne Liebe würde das Leben keinen Sinn machen. Liebe kann sogar Krankheiten heilen. Ich habe das selbst erlebt.«
»Wie soll das denn gehen?«, fragte ich, weil ich mir das nicht vorstellen konnte.
»Ich bin mit einer Krankheit auf die Welt gekommen«, antwortete Lars ruhig, »die nennt sich Chronische Bronchitis. Meine Lungenfunktion war deswegen immer extrem eingeschränkt, und im Sommer, wenn die Blüten und Pollen flogen, bekam ich kaum Luft, hatte gegen ziemlich alles eine Allergie und musste drei Mal am Tag für eine halbe Stunde an ein Inhalationsgerät. Ich hatte auch immer ein kleines Spray in meiner Hosentasche für den Notfall.«
»Krass!«, sagte ich und schaute ihn traurig an. Das wusste ich noch gar
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