Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
haben.«
12
Endlich war es soweit. Ich bekam meine erste Brille. Als Lars mit mir in der Schule war und neben mir saß, fiel ihm auf, dass ich das Leseheft immer ganz nah vor meine Augen hielt, und er bat Mama darum, einen Test mit mir zu machen. Der nette Mann im Brillenladen sagte, dass er mir helfen könne, keine Kopfschmerzen mehr zu bekommen. Das freute mich, denn mit Brille konnte ich plötzlich die Buchstaben viel besser erkennen und meine Augen taten auch nicht mehr so weh.
An Samstagen ist im ELBE-Einkaufszentrum immer am meisten Trubel. Das gefällt mir, weil so die Chance, ein hübsches Mädchen zu entdecken, viel größer ist als an, sagen wir, Dienstagen. Ich hielt nach Carolina Ausschau, aber sie schien freizuhaben, weil ein anderes Mädchen mit dunklen Haaren an dem Stand arbeitete. Gut so, dachte ich erleichtert, weil ja Mama beim Brilleabholen dabei war. Das wäre nur peinlich geworden. Wir fuhren die Rolltreppe hoch, und in meiner Brilleneuphorie hatte ich wohl etwas gesagt, was Mama sauer machte, denn als wir oben waren, giftete sie mich an, ich solle meinen Scheißdreck doch selbst erledigen, und verschwand wütend in einem Geschäft für Bilderrahmen. Ich stand neben Lars, mit dem Abholzettelchen in meiner Hand, und verstand die Welt nicht mehr.
»Na, komm«, sagte Lars und schob mich weiter. Wir gingen dann ohne Mama zum Optiker. Das schwarzhaarige Mädchen an der Kasse bat uns, in einer Stunde wiederzukommen, weil meine Brille noch nicht fertig sei. Weil es mir plötzlich nicht mehr so gutging, setzten wir uns in ein Café nur wenige Meter vom Brillenladen entfernt.
»Warum ist Mama böse auf mich?«, fragte ich Lars.
»Na ja, du warst eben wirklich nicht sehr nett zu ihr.«
Ich konnte mich nicht mehr erinnern, deswegen fragte ich nach: »Was habe ich denn gemacht?«
»Deine Mutter hat gesagt, dass sie nachher noch Waschmittel kaufen müsse, und hat uns wirklich freundlich gefragt, was wir noch geplant hätten. Und du hast sie ausgelacht und gerufen: Lars und ich machen Weiber klar, aber ohne dich. Du kannst putzen gehen, du Putzfrau. «
»Aber heute ist doch Samstag, und samstags ist bei uns immer Waschtag, und dann spielt Mama Putzfrau. Das ist immer so. Warum ist sie ausgerechnet jetzt deswegen sauer?«
Der Kellner kam, und Lars bestellte Espresso, Orangensaft, Cola und eine große Flasche Sprudelwasser. Ich drehte mich schnell nach allen Seiten um, konnte Mama aber nirgends entdecken. Ich habe immer ein flaues Gefühl im Bauch, wenn Mama so ist. Ich möchte keinen Streit mit ihr. Es ist viel schöner, wenn man sich liebhat.
»Guck mal, Daniel. Heute ist Samstag. Wir haben Wochenende. Und an den Wochenenden erholen sich die meisten Menschen von der anstrengenden Woche, die hinter ihnen liegt. Du hast ja auch keine Schule, kannst ausschlafen und länger wachbleiben.«
»Das stimmt«, nickte ich. »So wie gestern.«
»Ganz genau. Deine Mama kennt das nicht. Sie kann sich praktisch nie ausruhen. Sie steht von morgens bis abends unter Strom. Sieben Tage die Woche. Deiner Mama macht es auch keinen Spaß, samstags eure Wohnung zu putzen, aber sie muss es machen, weil es sonst anfangen würde zu stinken, und dann würdest du dich nicht mehr wohlfühlen. Das weiß deine Mama, und deswegen macht sie alles so gründlich sauber.«
»Aber warum ist sie denn jetzt sauer auf mich?«
»Weil sie auch lieber Spaß haben würde, wie die anderen Menschen, die hier mit ihren Freundinnen gemütlich shoppen gehen und Kaffee trinken. Und dann drückst du ihr aus dem Nichts so einen Spruch rein. Deine Mama weiß, dass du es nicht aus Absicht getan hast, trotzdem ist sie traurig, weil du in dem Moment ihre völlige Hingabe zu dir nicht wertschätzt und dich auch noch lustig über sie machst.«
»Häh?«
Lars begann zu grinsen und sagte: »Du kleiner Rotzbengel verstehst mich schon. Entschuldige dich einfach bei ihr und sag, dass du sie liebhast. Dann laden wir sie auf einen leckeren Cappuccino ein und hoffen, dass sie sich bis dahin wieder beruhigt hat.«
»Okay.«
Ich hatte große Mühe, Lars Worten zu folgen, weil zu den Bauchschmerzen jetzt auch die Herzstiche immer stärker wurden. Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, und atmete ganz vorsichtig ein und aus. Manchmal beruhigte das mein Herz, manchmal nicht. Ich trank einen Schluck Cola und suchte in meinem Handy nach Mädchen, denen ich eine SMS schreiben könnte. Heute war Samstag, und ich wollte mich am Abend unbedingt verabreden.
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