Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
vorne. Ich saß nämlich zuerst vorne.
Lars fuhr los, legte eine Hiphop-CD ein, und dann hörten wir ganz laut Musik. Mir war es ein bisschen zu viel Krach, weil der Bass durch meinen ganzen Körper wummerte, aber da Mario und Lars den ganzen Text auswendig mitrappten, sagte ich nichts und strengte mich an, genauso cool zu sein. Mario erklärte mir auch, was das Wort YOLO bedeutete.
Die beiden sangen das nämlich die ganze Zeit und hatten Spaß dabei, aber ich hatte davon noch nie etwas gehört. YOLO ist die Abkürzung für You Only Live Once. Das ist Englisch und heißt übersetzt: Du Lebst Nur Einmal. Erfunden wurde dieses Motto von einem Sänger namens Drake. Als Lars mir noch erklärte, dass es in dem Lied darum ginge, im Jetzt zu leben, eine geile Zeit zu haben und sich keine Gedanken wegen morgen zu machen, verstand ich plötzlich, warum sie es so gut fanden, und rappte mit ihnen mit: »YOLO. YOLO. YOLO. YO!«
Lars brachte uns in eine coole Bar direkt am Dammtor, die in ein schönes rotes Licht getaucht war. Im Hintergrund lief Musik, an fast allen Tischen saßen kleine Gruppen, und ich hatte schon die ersten hübschen Mädchen entdeckt. Ich musste sofort an Berlin – Tag & Nacht denken. Die feierten nämlich auch immer an so coolen Orten ihre Partys. Lars sprach mit der Kellnerin am Tresen. Mario und ich warteten an der Tür. Das konnte nur ein guter Abend werden. Es ging gar nicht anders. Lars meinte dann, dass wir in der Bar selbst nicht sitzen dürften, weil dort geraucht wurde, aber sie erlaubten uns, draußen im beheizten Vorzelt zu bleiben. Dort war es ohnehin viel cooler. Überall standen weiße Sofas und gemütliche Sessel herum, und hübsche Mädchen gab es auch genug. Die meisten hatten zwar ihren Freund dabei, aber das störte mich nicht. Angucken war schließlich nicht verboten. Mario bestellte sich einen Cuba Libre, Lars irgendwas Gelbes mit Orangenscheiben und ich suchte mir einen alkoholfreien Cocktail mit Ginger Ale aus.
Dann redeten wir über Mädchen, alberten herum, und Lars flirtete mit der Bedienung, aber Mario und ich lachten ihn aus, einfach nur, weil es so viel Spaß machte.
»Hast du eine Freundin?«, fragte ich ihn.
Er sagte: »Ja, hab ich.«
»Und weiß sie, dass du eine Behinderung hast?«
»Ja, klar«, lachte er und klopfte gegen seine Prothese. »Das Ding kann ich ja schlecht vor ihr geheim halten.«
»Darf ich auch mal?«
»Klar, hier!«, sagte er und streckte sein Bein zu mir hoch.
Ich klopfte dagegen. Zuerst ganz vorsichtig, dann etwas fester. Ich wollte nichts kaputtmachen.
Mario lächelte nur und sagte: »Das ist aus Carbon. Da könnte ein Panzer drüberfahren.«
»Ich habe auch einen Panzer«, sagte ich und klopfte gegen mein Korsett. »Willst du?«
Mario klopfte dagegen und fragte: »Du brauchst das, damit dein Oberkörper stabil bleibt, ne?«
»Ja, und wegen den Eisenstangen in meinem Rücken, weißt du?«
»Ja, Mann. Das kenne ich alles.« Ich starrte Mario an, weil er immer so schön lächelte und gar nicht traurig aussah.
»Und sie hat dich trotzdem lieb?«
»Wie meinst du das?«, fragte er.
»Na, deine Freundin. Sie hat dich lieb, obwohl sie weiß, dass du so behindert bist?«
Mario und Lars fingen an zu lachen, aber ich wusste gar nicht, was so lustig sein sollte. Dann sagte Mario, dass er eine tolle Freundin gefunden hätte, die ihn auch mit Prothese liebhabe. Als ich das hörte, griff ich nach seinem Arm und sagte: »Da hast du aber ganz schön viel Glück. Du solltest sie nicht mehr gehen lassen und ihr jeden Tag sagen, dass sie eine Prinzessin ist. Am besten heiratest du sie schnell.«
Jetzt lachte Lars noch lauter als vorher und sagte: »Daniel will immer gleich alle heiraten.«
»Und geilen Sex haben!«, ergänzte ich und rief: »Männer, die nächste Runde geht auf mich.«
Wir bestellten drei Bier, zwei richtige und ein alkoholfreies, und als die Bedienung die Gläser brachte, hielten wir sie vor uns in die Luft.
Lars sagte: »Auf uns.«
Mario sagte: »Auf die Liebe und unsere Gesundheit.«
Ich kicherte: »Auf große Brüste. YOLO.«
Vor dem Eingang zur Bar befand sich eine Brücke, die das Bahnhofsgelände mit einem Park verband. Den ganzen Abend liefen dort junge Leute entlang, viele Jugendliche in meinem Alter, vielleicht ein bisschen älter. Richtige Cliquen, Mädchen und Jungs gemischt. Sie hielten Bierflaschen in den Händen, lachten und hatten Spaß. Manche von ihnen sahen verliebt aus, knutschten oder hielten Händchen,
Weitere Kostenlose Bücher