Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
eben auch immer, ein Risiko einzugehen. Und obwohl all diese Krater und Narben furchtbar schmerzen, so erinnern sie mich jeden Tag an die Liebe, die ich noch immer für diese Menschen verspüre, und vielleicht, ja, ganz vielleicht, kommen sie eines Tages zu mir zurück und füllen die leeren Stellen in meinem Herzen mit ihrer Liebe aus. Dann legte er seinen Arm um die Schulter des Jungen und sagte: Verstehst du jetzt, was echte Schönheit bedeutet?
Der Junge war so gerührt, dass ihm Tränen über seine Wangen liefen. Schluchzend und ohne darüber nachzudenken griff er in sein wunderschönes Herz, brach ein Stück heraus und gab es dem alten Mann. Der nahm es dankend an, suchte eine geeignete Stelle dafür, brach ebenfalls ein vernarbtes Stück aus seinem Herzen heraus und verschloss damit die frische Wunde des Jungen, dessen Herz nun nicht mehr perfekt, aber schöner denn je war. Und zum ersten Mal in seinem Leben spürte der jungen Mann die Liebe eines anderen Menschen durch sein Herz strömen.«
Lars hörte auf zu reden und fuhr mir sachte durchs Haar. Ob seine Geschichte fertig war? Ich wollte erst nichts sagen und so tun, als würde ich schon schlafen. Ich wollte nämlich nicht, dass er mit dem Kraulen aufhörte, aber dann sagte ich doch etwas.
»Schön.«
»Schön?«, fragte Lars ein bisschen verwundert. Das konnte ich an seiner Stimme erkennen.
»Ja, schön. Ich meine, dass der Junge und der alte Mann sich am Ende lieb hatten. Sah ja erst nicht so aus.«
»Ja, das ist wirklich schön«, lachte Lars. »Hast du denn verstanden, was ich dir damit sagen wollte?«
Ich überlegte, wusste aber nicht, was ich antworten sollte. Die Wörter flogen wieder durch meinen Kopf, so wie vorhin die Jack Russell Terrier. Ich begann einen Satz, brach ihn ab, wiederholte ihn wieder, begann zu stottern, wusste nicht mehr, was ich davon gedacht und was laut ausgesprochen hatte, bis Lars mich unterbrach. Ich hatte ja schon Mühe genug, seiner Geschichte zu folgen, aber weil er so schön langsam erzählte, klappte es ganz gut.
»Es geht darum, sich ins Leben zu stürzen, sich zu verlieben, sein Herz zu verschenken, solche Sachen. Es kommt nicht auf die Äußerlichkeiten an, nicht wirklich, weißt du, sondern auf das, was man in sich trägt. Perfekt ist in Wahrheit nur ein anderes Wort für langweilig.«
»Du meinst, weil mein Herz auch nicht perfekt ist?«
»Du Blitzmerker, du«, lachte Lars wieder.
»Hmm, aber es gibt einen Unterschied zwischen dem alten Mann und mir.«
»Und der wäre?«
»Er ist alt, und ich bin jung.«
»Das stimmt, aber …«
»Und er hat sich schon oft verliebt und ich doch noch nie«, fiel ich Lars ins Wort, der jetzt aufgehört hatte mich zu kraulen und an die Decke starrte.
»Ich weiß«, sagte er und klang traurig.
»Aber eine Gemeinsamkeit haben wir doch«, sagte ich schnell, damit er nicht mehr traurig war. »Sein Leben ist fast vorbei und meines auch.«
Oh Mist, dachte ich. Jetzt würde er bestimmt noch trauriger werden, doch stattdessen entdeckte ich diesen Ausdruck in seinem Gesicht, den er immer dann hatte, wenn er sich für uns irgendwelche Abenteuer ausdachte.
»Und deswegen werden wir aus deinem kleinen Herzen auch noch eine schöne Landkarte voller Krater und Furchen und Narben machen. Einverstanden?«
»Einverstanden.«
Lars trank seinen Tee aus, der jetzt bestimmt schon ganz kalt war und kam wieder zu mir nach oben. Ich nutzte den Moment, setzte mich auf und nahm meinen großen Bruder in den Arm. Mein Bauch tat zwar immer noch höllisch weh, aber für einen kurzen Augenblick würde ich die Schmerzen schon aushalten und biss auf die Zähne.
»Also, wenn du willst«, wisperte ich kaum hörbar und machte eine lange Pause, denn das Sprechen viel mir schwer. Mein Körper hatte gerade noch Kraft, um sich schlafen zu legen und das würde ich auch gleich tun. »Also, wenn du willst«, machte ich einen zweiten Anlauf, »dann schenke ich dir ein Stück von meinem Herzen. Ich wurde ja schon fünf Mal operiert, also mit Narben kenne ich mich gut aus. Wie der alte Mann aus deiner Geschichte.«
Lars drückte mich, und ich legte mich wieder auf den Rücken. Dann griff ich mit meiner Hand an mein Herz und tat so, als würde ich ein Stück herausnehmen. Ich prüfte, ob es auch groß genug war und reichte es ihm. Lars lächelte und drückte mein Stück sofort gegen sein Herz. Dann machte er das gleiche bei sich, und ich drückte sein Stück an mein Herz. Ich drehte mich zur Seite und
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