Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
schloss meine Augen.
»Gute Nacht, kleiner Bruder«, hörte ich ihn rufen, als er schon an der Tür stand.
»Gute Nacht, großer Bruder. Und lass dir was einfallen, wie wir mein Herz durchlöchern können.«
»Mach dir darüber mal keine Sorgen. Dafür bin ich ja da.«
Er ließ meine Zimmertür einen kleinen Spalt offen, damit ich noch ein paar Geräusche hörte, und ich dachte noch eine Weile über seine Geschichte nach. Ich überlegte, wem ich außer Lars noch ein Stückchen meines Herzens schenken könnte. Da mir außer Mama, Papa und Rocky aber so schnell niemand einfiel und diese Grübeleien ziemlich anstrengend waren, schlief ich zum Glück schnell ein. Ich freute mich schon aufs Aufwachen, denn dann konnte ich endlich mein neues Nintendo spielen, das noch immer eingeschweißt auf meinem Schreibtisch lag.
Hamburg, von meinem Hotelzimmer aus. Das Abenteuer kann beginnen!
15
Ich wurde ziemlich früh wach. Mama, Papa und Rocky schnarchten noch um die Wette. Ich schlich mich auf Zehenspitzen in Lars’ Zimmer und setzte mich an die Fußseite seines Bettes.
»Schlaf ruhig weiter«, flüsterte ich ihm zu, als er mich bemerkte. »Ich hab mein neues Spiel dabei und zeichne gerade ein Pferd. Du fährst ja nachher wieder nach Berlin, deswegen komme ich jetzt schon zu dir. Schlaf ruhig weiter. Ich schalte auch den Ton aus, okay?«
Lars nickte in sein Kopfkissen, drehte sich zur Wand und döste weiter. Ich wünschte mir, dass er seine Augen öffnete und Zeit mit mir verbringen würde, aber so war es auch okay. Ich schaute ihm eine Weile beim Schlafen zu, dann malte ich mein Pferd braun an. Nach einer Weile fragte er verschlafen: »Bist du noch da?«
Ich sagte: »Ja.«
»Wie lange sitzt’n schon da?«
»Weiß nicht.«
»Was machst’n?«
»Ich male ein Schaf.«
»Alles klar.«
»Willst du jetzt aufstehen, vielleicht?«, fragte ich.
Lars kitzelte mich mit den Füßen an meinem Bauch, und weil ich meinen Schutzpanzer noch nicht umgeschnallt hatte, kribbelte es, und ich musste lachen.
»Wie is’n das Wetter heute?«, fragte er.
Ich sah aus dem Fenster und weil die Sonne schien, sagte ich: »Schön.«
»Folgender Plan«, sagte Lars noch immer in sein Kopfkissen. »Ich gehe schnell duschen und packe meine Sachen zusammen. Dann springen wir in die Karre, trinken im Café Bohne einen Espresso, und du darfst auf dem Parkplatz eine Runde mit meinem Auto drehen.«
»Juhu!«
Als wir zurückkehrten, waren meine Eltern wach. Ich lief zu Papa ins Wohnzimmer und sagte, dass ich ihn lieb hatte, und als Mama aus dem Bad kam, drückte ich sie und sagte ihr das gleiche.
»Was ist denn mit dem Zwerg los?«, lachte Mama noch ein bisschen verkatert, bevor sie sich in ihrem Morgenmantel eine Tasse Kaffee aus der Küche holte.
»Ach, dem geht’s einfach gut«, rief Lars ihr hinterher und rollte seinen gepackten Koffer zur Haustür.
Ich rutschte auf meinen Socken schnell in mein Zimmer und kramte den Fotokalender aus dem Geheimversteck unter meinen Unterhosen hervor. Zusammen mit Mama überreichte ich ihn Lars. Der war völlig baff, was wir voll lustig fanden, und als Mama auch noch ein Bild von Lars und mir in einem Bilderrahmen hervorzauberte, wusste er überhaupt nicht mehr, was er sagen sollte. Er legte den Kalender und das Bild vorsichtig in seinen Koffer und verabschiedete sich.
»Bis nächsten Samstag«, sagte er und drückte mich.
»Wie viele Tage sind das?«, fragte ich.
»Heute ist Sonntag. In sechs Tagen bin ich wieder da.«
»Wehe, du kommst nicht, dann komme ich zu dir«, lachte ich und drohte mit meinem Zeigefinger. Mama nahm mich zu Seite und sagte: »Und wovon träumst du nachts?«
»Von nackten Weibern«, kreischte ich und hielt mir beide Hände vor die Brust. Mama wusste schon, was das zu bedeuten hatte. Lars offensichtlich auch, denn er nickte mir zu und hielt seine Hand zum Abschlagen hin. Dann ging er fort. Ich schickte ihm während der Heimfahrt sieben SMS, und als er zu Hause ankam, rief er mich sofort an, um zu sagen, dass es ihm gutging. Kurz bevor ich ins Bett musste, telefonierten wir noch, aber nur, um unsere Stimmen zu hören. Dann schlief ich ein.
Während der Woche passierte nichts Außergewöhnliches. Ich wurde zur Schule gefahren und danach ins Hospiz. Am Dienstag musste ich zu einer Kontrolluntersuchung ins Krankenhaus und am Donnerstagnachmittag wollte mein Kinderarzt mich sehen, weil er sich wegen irgendeines Blutwertes Sorgen machte. Mich kümmerte das nicht. Wenn ich
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