Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
der rechten Brust. Ich weiß das, weil ihre Dinger ziemlich groß sind und jedes Mal fast aus ihrer Bluse fallen. Deswegen ist sie ja meine Lieblingsfriseurin. Und weil sie immer sehr nett zu mir ist. Sie hat aber einen Freund und ein Baby, weswegen sie nichts für mich ist.
Am Freitag geriet ich in einen Kampf. Ein Junge aus meiner Schule beschimpfte mich. »Deine Mutter sieht aus wie eine Mischung aus Hitler und einem Nilpferd«, sagte er im Pausenhof. Alle fanden das witzig und lachten. Ich nicht. Ich fand das sehr gemein und schubste ihn. Lars hatte ja gesagt, ich solle mir nichts gefallen lassen und dürfe mich ruhig wehren. Das tat ich auch, aber der Kerl war größer und stärker. Er trat mir so feste gegen mein rechtes Schienbein, dass ich ohnmächtig wurde und auf den Boden fiel. Dort lag ich dann, bis eine Lehrerin kam und mich nach oben ins Klassenzimmer brachte. In meinem Kopf war alles schwarz. Als ich wieder halbwegs klar denken konnte, lag ich auf dem Sofa und hatte einen Kübel Eis auf dem Knie. Meine Lehrerin sagte, »das wird schon wieder«, aber die Beule wurde von Unterrichtsstunde zu Unterrichtsstunde größer. Später im Hospiz war mein Knie so dick angeschwollen, dass ich nicht mehr auftreten und kaum laufen konnte. Doris und Ester begutachteten mein Bein und schimpften auf meine Lehrerin. Da ich Bluter bin und die Gefahr, eine Thrombose zu bekommen, bei mir sehr hoch ist, darf niemals ein Risiko eingegangen werden. Doris und Marcel mussten mich ins Kinderkrankenhaus nach Altona fahren. Mama arbeitete im Café und war im Stress, weil sie Kaffee und Kuchen für drei Beerdigungen organisieren musste, und ging nicht ans Telefon. Ich schickte ihr eine SMS: Bin im Krankenhaus. Beule am Knie. Doris ist bei mir. Mach dir keine Sorgen. Hab dich lieb.
Um 15 Uhr betraten wir die Notaufnahme. Drei Kinder waren vor mir an der Reihe. Es kamen aber ständig neue Notfälle dazu, weswegen ich mich setzen und warten musste. Ich war kein Notfall auf Leben und Tod. Heute nicht!
Lars kam wieder über’s Wochenende vorbei. Er war gerade am Bahnhof Altona und schickte mir eine SMS, ob er zu mir kommen sollte, da das Krankenhaus ja um die Ecke lag, aber mir war es lieber, wenn er zu Hause auf mich wartete. Er schrieb noch, dass er eine Überraschung für mich im Gepäck hätte, aber ich schaffte es nicht, mich darüber zu freuen. Eines der Notfallmädchen sah gar nicht gut aus. Ihr Schädel war kahl rasiert. Die Chemotherapie hatte ganze Arbeit geleistet. Ihre größere Schwester erzählte mir, dass ihr bereits die Eierstöcke und eine Niere wegoperiert wurden. Jetzt hatte sie einen Magendurchbruch. Alles war voller Blut. Ich wünschte ihnen alles Gute und schickte leise ein Gebet in den Himmel: »Bitte lieber Gott, gib diesem Mädchen die Kraft, die sie braucht, um diesen Höllenritt zu überstehen.« Es gibt für mich nichts Schlimmeres, als andere kranke Kinder leiden zu sehen. Irgendwann wurde mein Name aufgerufen und eine Krankenschwester begleitete mich in die Röntgenabteilung. Zum Glück hatte ich nur einen riesigen Bluterguss und keinen Magendurchbruch. Ich bekam rote Krücken, weil sie farblich zu meiner roten Hose passten, und ich quälte mir ein Lächeln raus.
»Falls das Knie morgen nicht dicker wird, ist alles okay«, sagte der Arzt. »Falls doch, muss er sofort wieder her.«
Doris nickte. Kannte ich alles schon. Um 22.30 Uhr verließen wir das Todeshaus, und ich atmete wieder durch. Marcel brachte mich sicher nach Hause. Er war ein guter Krankenwagenfahrer.
Mama hatte den Tisch im Wohnzimmer gedeckt. Zum Abendbrot gab es Salat mit Tomaten und Schafskäse und schwarzen Oliven und Gurken, und im Kühlschrank wartete noch eine große Schüssel Obstsalat. Da Lars Vegetarier ist, versuche ich auch auf Fleisch zu verzichten. Manchmal jedenfalls. Das ist ganz schön schwer, weil Schnitzel, Chicken Wings und Landjäger und alles, was es beim Metzger gibt, so lecker schmecken. Papa lag mit Rocky auf dem Sofa und sah fern, und ich erzählte Mama und Lars in meinem Zimmer, was in der Schule vorgefallen war. Mama wurde stinksauer deswegen. Aber nicht auf mich. Zum Glück. Lars klatschte in die Hände.
»Lasst uns mal die Schule und das Krankenhaus für eine Sekunde vergessen. Ich habe Geschenke mitgebracht. Aus Berlin.«
Lars flitzte in sein Zimmer und kam mit zwei großen Tüten zurück.
»Für mich?«, fragte ich, und Lars sagte: »Klaro.«
Mama und Lars strahlten sich gegenseitig an, aber ich
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