Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
strahlte nicht mit. Ich fragte: »Habe ich heute Geburtstag?«
»Nein, die Geschenke gibt’s einfach so. Weil du der beste kleine Bruder der Welt bist. Jetzt pack schon aus!«
»Aha«, sagte ich skeptisch und griff in die erste Tüte.
Eine rot-blaue Winterjacke von Nike.
»Schau mal, Daniel. Mit Kapuze. Damit dir nicht mehr kalt ist.«
Ich konnte mich kaum konzentrieren. Lars sah mich mit großen Augen an. So wie er es oft tat. Aber ich konnte mich nicht über sein Geschenk freuen. Ich wollte schlafen. Ich wollte mich an Muh kuscheln. In meinem Kopf herrschte wieder Durcheinander. Ich dachte an das Krebs-Mädchen aus dem Krankenhaus. Sie hatte mich noch angelächelt, bevor sie in den Operationssaal geschoben wurde. Dieser hilflose Ausdruck in ihrem Gesicht kam mir so bekannt vor. Ein Lächeln bedeutet nämlich nicht immer, dass man glücklich ist. Manchmal bedeutet es auch, dass man nicht mehr kann oder schlicht keine Lust mehr hat zu weinen. Wie sollte ich mich mit diesen Gedanken über eine Jacke freuen? Ich wollte ja, aber es gelang mir einfach nicht. Ich packte die restlichen Geschenke aus:
ein Paar schwarz-rote Sneakers von Nike, die zur Jacke passten.
ein schwarzes T-Shirt von Nike, auf dem mit roter Schrift KILLING TIME stand.
ein graues T-Shirt mit der Aufschrift I LOVE FC BAYERN und einem roten Herzen.
ein weißes T-Shirt mit einem Bären, auf dem BERLIN DUDES stand.
ein grauer Kapuzenpullover mit dem Kopf vom Roadrunner und der Aufschrift EASY DOES IT!
Mama heulte wegen der vielen schönen Klamotten, aber ich konnte damit nichts anzufangen. Ich tippte irgendwelche Zahlen in mein Handy. Ich wollte meine Ruhe haben, und weil Lars mich so blöd anguckte, beleidigte ich ihn. Ich glaube, er war traurig deswegen. Er war mir in dem Augenblick aber egal. Alles war mir egal. Vor allem dieses beschissene Leben.
»Du sagst doch jeden Tag, dass dir auf dem Weg in die Schule kalt ist«, begann Mama mit mir zu schimpfen. Sie nahm die Jacke in die Hand und hielt sie vor mein Gesicht. »Das ist die beste Qualität, Daniel. Und teuer. Da müssen wir gleich deinen Namen reinschreiben, sonst wird die dir in der Schule geklaut.«
»Wenn ich mit der Jacke in die Schule komme, sage ich allen, dass mein großer Bruder sie mir in Berlin gekauft hat. Dann wollen sie auch alle so einen Bruder haben.«
»Oder so eine Jacke«, lachte Lars.
Dann verloren sich meine Gedanken wieder im Nichts. Lars wuschelte mir durch die Haare und ging in die Küche. Ich kletterte vorsichtig nach oben ins Bett. Meine Augen waren schwer wie Blei.
»Kraulst du mich noch?«, rief ich ihm nach und schlief wenig später ein.
Am nächsten Tag hatte Lars allerbeste Laune. Weil ich immer noch nicht gut laufen konnte, nahm er mich bis zu Papas Auto Huckepack, legte meine Krücken und die Sauerstofftasche auf die Rückbank und fuhr mit mir zum Süllberg hoch. Ich war noch nie dort gewesen, obwohl dieses tolle Hotel mit wunderbarer Aussicht aufs Meer nur eine Viertelstunde von unserer Wohnung entfernt lag. Wir stellten das Auto in der Tiefgarage ab und fuhren mit dem Aufzug direkt ins Restaurant. Am Eingang wurde ich von der Kellnerin schon mit meinem Namen begrüßt. Das gefiel mir gut. Wir setzten uns auf die Terrasse, bestellten Espresso und Cola und beobachteten die Schiffe, die am Horizont entlangfuhren. Die Sonne wärmte uns, aber wir mussten trotzdem unsere Jacken und Mützen anbehalten, um nicht zu frieren.
»Danke«, sagte ich.
»Wofür?«, fragte Lars.
»Für die geile Jacke und die geilen Schuhe.«
Lars drehte sich zu mir und musterte mich von Kopf bis Fuß.
»Sieht supercool aus, mein Kleiner.«
»Ich wollte gestern nicht, dass du traurig bist. Es tut mir leid. Es war nur, ich …«
»Du brauchst nichts zu sagen«, unterbrach mich Lars und nahm meine Hand. »Lass uns lieber diese Mega-Aussicht genießen, solange die Sonne noch scheint.«
Ich sah auf das glitzernde Wasser und dachte an die ersten sieben Jahre meines Leben. Ich wurde in Port Elizabeth geboren. Das ist eine Stadt in Südafrika, die direkt am Meer liegt, genau wie Hamburg. Dort ging es mir aber nicht so gut wie hier in Deutschland. Meine Stiefmutter hat mich oft eingesperrt und mit dem Kochlöffel gehauen. Da stand sogar mein Name drauf. Meinen Bruder konnte sie auch nicht leiden. Sie mochte nur meinen Papa, aber der war selten zu Hause und bekam von diesen Sachen nichts mit. Ich erzählte ihm auch nichts davon, weil ich keinen Ärger machen wollte. Nur einmal, als
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