Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
ich es gar nicht mehr aushielt, kletterte ich schnell aus dem Fenster und rannte zu einer Freundin meiner Mama, um mich zu verstecken. Dort war ich in Sicherheit vor der gemeinen Hexe. Mama redete damals mit meinem Papa, der mich dann zu einer Kinderpsychologin schickte. Die stellte mir ganz viele Fragen, aber für mich war die Angelegenheit klar.
»Wenn mein Vater mich nicht zu Mama nach Deutschland lässt«, sagte ich, »werde ich ihn im Keller einsperren, damit er mich nicht aufhalten kann«. Ich war zwar erst sieben Jahre alt, aber ich wusste genau, was ich wollte. Dann zog ich meinen Reisepass aus der Hosentasche. »Den habe ich immer dabei, für den Fall, dass es sofort losgeht. Ich kenne auch schon die Flugroute. Von Port Elisabeth geht es über Johannesburg nach Frankfurt und von dort weiter nach Hamburg.«
»Weiß deine Mama schon davon, dass du lieber bei ihr leben möchtest?«, fragte mich die Psychologin am Ende unseres Gesprächs. Ich sah sie völlig irritiert an und antwortete: »Aber natürlich. Ich rede doch jede Nacht mit ihr. In meinen Träumen.«
24
Lars war zurück in Berlin. Wir hingen, wie jeden Abend, am Telefon und planten das kommende Wochenende. Er fragte mich, ob er mit einem Mercedes oder BMW kommen solle, und wir einigten uns auf eine BMW-5er-Limousine mit viel PS. Ich bat ihn aber darum, vorsichtig zu fahren, weil ich von Mama gehört hatte, dass die Straßen glatt und vereist sein würden. Lars musste es mir versprechen, weil ich sonst nicht schlafen konnte.
»Wie geht’s deiner Erkältung, bist du noch krank?«, fragte ich.
»Geht schon«, antwortete er ausweichend. »Weißt du noch, die Mehlschlacht letzte Woche in eurer Küche? Als deine Mutter die ersten Weihnachtsplätzchen gebacken hat und wir am Ende alle total weiß waren.«
»Ja, das war mal richtig lustig«, grinste ich.
»Das war es wirklich. Bei dem Gedanken an leckere Vanillekipferl bekomme ich gerade mächtig Heißhunger. In meinem Kühlschrank herrscht nur gähnende Leere. Da steht genau ein angebrochenes Senfglas drin. Sonst nichts.«
»Bestell dir doch was vom Lieferdienst«, schlug ich vor.
»Nee, das schmeckt immer so eklig«, antwortete Lars.
»Wo bist du gerade?«
»Im Wohnzimmer. Ich stehe an der Heizung und schaue aus dem Fenster. Draußen ist alles weiß. Der Spreekanal, der an meiner Straße vorbeiführt, ist schon zugefroren. Es stürmt und sieht sehr kalt aus. Verfickte Scheiße.«
»Was ist denn so schlimm?«
»Ach, mich nervt gerade alles. Hab immer noch Husten, einen Mörderkohldampf, nix zu essen in der Bude und bei dem Gedanken, durch die Kälte zu meiner Pizzeria stapfen, krieg ich die Krise.«
»Ist das weit?«
»Nee, sind nur zwei Straßen. Ist fast um die Ecke. Fünf Minuten.«
»Hmm«, sagte ich leise.
»Was, hmm?«, fragte Lars mürrisch.
»Ach, nix«, sagte ich.
»Jetzt sag schon.«
»Hab nur gerade überlegt, was ich machen würde, wenn ich du wäre.«
»Und?«
»Ich würde mich ganz dick einpacken und durch jede Schneepfütze hüpfen, die es gibt. Dann würde ich eine Schneeballschlacht mit fremden Mädchen machen und … keine Ahnung, einfach durch die Nacht tanzen und Spaß haben.«
»Scheiße, Kleiner. Ich bin ein solcher Idiot! Geh an dein Handy, ich ruf dich in ein paar Minuten von unterwegs an, okay?«
»Okay.«
Als Lars in der Pizzeria auf sein Essen wartete, rief er mich zurück. Ich fragte: »Ist die Bedienung hübsch?«
»Ja, schon«, lachte er. »Also, eine von ihnen auf jeden Fall, aber …«
»Sprich sie an!«
»Daniel, ich will hier noch öfter eine Pizza bestellen.«
»Ist doch egal. Sag ihr, dass sie schöne Augen hat.«
»Das weißt du doch gar nicht.«
»Macht doch nichts«, sagte ich. »Hat sie aber bestimmt. Guck mal genau hin. Und?«
»Ja, schön sind sie schon.«
»Siehst du! Mist, Mama kommt rein. Ich muss auflegen.«
»Nein, nicht auflegen«, rief mir Mama zu. »Lass mich kurz mit deinem Bruder reden.«
Ich stellte mein Telefon auf Lautsprecher, damit ich mithören konnte.
»Lars?«, sagte Mama. »Du glaubst nicht, was heute passiert ist!«
»Was denn?«
»Die Kriminalpolizei war heute da und hat nach dir gesucht.«
»BITTE?«
»Ja, wirklich! Martin dachte auch, ihn trifft der Schlag. Sie haben gefragt, ob es unserem Sohn gut ginge und ob Daniel am vergangenen Sonntag in der Hansebäckerei Junge war.«
»Ja, ich war mit ihm da«, sagte Lars. »Oder, Daniel? Die Bäckerei hieß doch so.«
Ich nickte.
»Ja, das wissen wir jetzt
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