Dieses heiß ersehnte Glueck
glaubte sie, es käme von ihrem Zorn, doch bald wußte sie, daß es die Angst war, die sie schüttelte. Das ganze Jahr über hatte sie nicht daran zu denken gewagt, was geschehen würde, wenn Wesley zurückkäme. Sie hatte sich in der Hoffnung gewiegt, daß er die Arme nach ihr ausstrecken und sie lieben würde; doch statt dessen hatte er sie in aller Öffentlichkeit brüskiert und zurückgewiesen.
Leah war an Ärger gewöhnt. Der Zorn war ihr tägliches Brot gewesen, solange sie auf der Farm ihres Vaters gearbeitet hatte. Der Zorn hatte sie daran gehindert, aufzugeben und zu resignieren. Ihr Vater hatte ihr alles genommen bis auf ihren Zorn und ihren Stolz — und beides war jetzt bei der Auseinandersetzung mit Wesley an die Oberfläche gekommen.
Doch nun, nachdem sie ihrem Zorn Luft gemacht hatte, packte sie die Angst. Sie wollte nicht auf die Farm ihres Vaters zurückkehren, wenn sie dort allein leben mußte. Ein Jahr lang hatte sie in enger Gemeinschaft von zwei Familien gelebt, die sie liebten, und sie hatte gehofft, selbst eine Familie gründen zu können. Wenn sie in das Sumpfland zurückkehrte, würde sie zweifellos den Rest ihres Lebens dort verbringen. Vielleicht konnte sie mit Weben ...
»Leah!«
Wesleys Stimme riß sie aus ihren Gedanken. Sofort straffte sie ihre Schultern. Sie stand im Korridor und wußte nicht, wie lange sie sich schon selbst bemitleidet hatte. »Ja«, antwortete sie kalt und bereitete sich innerlich auf einen neuen Angriff seinerseits vor. Das war der Mann, von dem sie so lange geträumt hatte! Sie hatte geglaubt, sobald sie mit ihm verbunden sei, wären alle ihre Probleme gelöst. Doch tatsächlich fingen sie damit erst an.
»Ich bin gekommen, um mich zu entschuldigen«, begann er und beobachtete sie dabei scharf. Sie war hübsch, dachte er, aber auf eine hochmütige besondere Weise. Ihre Augenbrauen wölbten sich spitz nach oben und verliehen ihrem Gesicht etwas Arrogantes, Herrisches. »Ich habe zwar noch nicht genügend Zeit gehabt, mir deinen Plan genau zu durchdenken, aber er hörte sich so an, als könne er funktionieren. Ich kann mir vorstellen, daß du genausowenig wie ich in Virginia bleiben möchtest, und ich habe deinetwegen gewisse Verpflichtungen.«
»Nein«, sagte sie ruhig mit ganz dunklen Augen. »Sie haben mir gegenüber keinerlei Verpflichtungen. Ich habe schon immer für mich selbst gesorgt und werde das auch weiterhin tun. Unsere Ehe wird aufgelöst und damit sind Sie aller Verpflichtungen ledig.«
Wesleys Mundwinkel zuckten; aber nicht, weil ihre Antwort ihn belustigte. »Ich bin sicher, daß du eine Menge von Leuten versorgen könntest; aber würdest du lieber dieses Stück Morast, das dir gehört, hier beackern statt nach Kentucky zu ziehen und dort — was war es doch gleich wieder, was du dort treiben wolltest? — ach, ja, zu weben?«
Da durchzuckte Leah ein Gedanke. Was um alles in der Welt hatte sie in diesem autokratischen Mann gesehen, das in ihr die Hoffnung weckte, er könne ihr eines Tages beistehen und ihr eine Stütze sein! Er bot ihr diese Alternative an, als ergötze er sich innerlich an dem Gedanken, daß sie gar keine andere Wahl hatte, als ihm nach Kentucky zu folgen. Wie gern hätte sie ihm sein Angebot ins Gesicht zurückgeschleudert! Aber bei all ihrem Stolz war sie nicht bereit, eine Dummheit zu begehen.
»Ich würde lieber nach Kentucky ziehen«, gab sie wütend zur Antwort. »Aber ich möchte noch einmal betonen, daß ich trotz allem eine Simmons bin und nicht Ihresgleichen! Ich komme für mich selbst auf. Ich werde niemals eine Belastung für Sie sein.«
»Ich habe mich nie gefragt, ob du eine Belastung für mich sein würdest. Ich bin davon überzeugt, daß du mit allen Schwierigkeiten spielend fertig wirst.«
Er hätte ihr noch mehr gesagt, wenn nicht ein geflüstertes »Wesley« hinter seinem Rücken ihn veranlaßt hätte, sich umzudrehen. Kimberly stand dort. Ihr zarter Körper war in duftige pinkfarbene Seide gehüllt, ihre großen Augen standen schon voller Tränen.
Ehe Wes sich bewegen konnte, preßte Kim den Handrücken gegen ihre offenen Lippen. Im nächsten Moment begann sie mit anmutig flatternden Wimpern langsam zu Boden zu sinken.
Wesley fing sie, lange bevor sie den Boden berührte, in seinen Armen auf. Er hob sie hoch, während die pinkfarbene Seide ihn umschwebte, und blickte besorgt auf sie hinunter.
»Wasser!« befahl er, an Leah gewendet, die regungslos danebenstand. »Und Brandy!« rief er ihr nach, als
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