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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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umfassende erste Person Plural: Wir haben dies geschrumpft, wir haben das geschrumpft. Das Pronomen war allzu großzügig gewählt. Wie Goldman genau wusste, hatten wir überhaupt nichts getan.
    Glynis war Goldmans Vehikel seiner eigenen Seligsprechung. Indem er das Böse in ihr zähmte, freute er sich vermutlich für sie; zweifellos aber freute er sich vor allem für sich selbst. Glynis war eher Projekt denn Person, ein Werkzeug zur Beförderung der galoppierenden Ambitionen dieses Arztes, und zwar nicht nur, um Gutes zu tun, sondern auch, um selbst erfolgreich zu sein.
    Shep hätte nicht genau sagen können, was an diesem Prinzip nicht stimmte. Wenn es einen Verfechter gesunden Eigennutzes gab, dann ihn. Dass Goldman das Überleben seiner Patientin mit einer persönlichen Eroberung gleichsetzte, war auch in Glynis’ Interesse. Sie brauchte nicht noch jemanden, der ihr alles Gute wünschte, sagte sich Shep, nicht noch einen Freund. Sie brauchte einen fähigen, technisch versierten Experten, der nach bestem Können seinen Job erledigte. Und aus welchem Grund dieser Mann sich dann maximal ins Zeug legte, blieb ihm überlassen. Insofern ließ sich vielleicht auch umgekehrt deuten, wer hier von wem profitierte. Er und Glynis machten sich Goldmans Ego zunutze, und von dieser Warte aus wirkte das Szenario absolut erfreulich.
    »Da es funktioniert«, sagte der Doktor zusammenfassend, »und Sie die Medikamente offenbar überdurchschnittlich gut vertragen, sollten wir erst mal damit fortfahren, den Krebs mit Alimta zu beschießen – mit dem ›Lift nach Manhattan‹.« Als der Arzt Glynis ein verschwörerisches Lächeln zuwarf, nahm Shep sich tapfer zusammen, um nicht gekränkt zu sein, weil sie Goldman in ihren privaten Witz eingeweiht hatte. »Ihr Blutbild macht mir noch ein bisschen Sorgen. Aber uns stehen noch genügend andere Optionen zur Verfügung, falls die Verträglichkeit von Alimta nachlassen sollte oder wir damit nicht weiterkommen.« Er leierte eine Liste von Ersatzmedikamenten herunter, um sich anschließend nach den gegenwärtigen Nebenwirkungen zu erkundigen. Glynis spielte ihre Beschwerden herunter.
    ES WAR SOMMER. Zum ersten Mal in diesem Jahr fühlte es sich nach Sommer an, und das herrliche Wetter wirkte nicht wie der blanke Hohn. An den langen Juliabenden tauchte die Sonne den Hudson in orangerotes Licht. Shep lenkte den Wagen mit Schwung und richtete die Zukunft neu aus. Vielleicht käme sie ja doch durch. Vielleicht musste er doch nicht allein nach Pemba. Vielleicht bliebe ja doch noch genügend auf dem Merrill Lynch Konto übrig, wenn nicht für das entspannte, luxuriöse Zweitleben, das er geplant hatte, dann doch genügend, um über die Runden zu kommen: um für einen Spottpreis ein Häuschen zu kaufen und Papayas zu essen. Vielleicht würde er sie noch mal zum Mitkommen überzeugen müssen, aber vielleicht würde diese Erfahrung sie verändert haben, ihr die kurze Zeit vor Augen führen, die selbst denjenigen nur blieb, die nicht krebskrank waren. Vielleicht würde er ja doch noch bei Kerzenschein Königsmakrele für zwei Personen bestellen können.
    »Hättest du nicht Lust, essen zu gehen?«, schlug er vor. »Das wäre dann wirklich mal ein Lift nach Manhattan.«
    »Schon etwas riskant, bei den vielen fremden Bazillen …«, sagte Glynis. »Aber was soll’s. Lass uns feiern. Am liebsten würde ich zu Japonica, aber Sushi würde vermutlich den Bogen überspannen.«
    Oftmals fiel Shep unter Druck kein vernünftiges Restaurant ein, und sie landeten am Ende in irgendeinem vielbeworbenen Touristenlokal wie Fiorello’s. Doch an diesem Abend war das Glück ihm hold. »City Crab?«
    »Perfekt!«
    Auf der George Washington Bridge waren soeben die Lichter angegangen, und die Brücke glitzerte wie eine Krone auf dem Kopf des Papstes. Aufgrund von Instandsetzungsarbeiten war der Abschnitt auf der Manhattan-Seite über Jahre hinweg unbeleuchtet gewesen, und nur eine einzige helle Spitze auf der New-Jersey-Seite hatte über der Flussmitte in der Dunkelheit gehangen; der windschiefe Effekt war irritierend fürs Auge gewesen. An diesem Abend strahlte endlich die gesamte Brücke wieder von Ufer zu Ufer in hellem Licht. Die erneuerte Symmetrie schien eine Bedeutung zu haben. Ein Rhythmus, ein Gleichgewicht war wiederhergestellt worden.
    In der Öffentlichkeit zu sein war jetzt etwas Neues. Der Abend begann ein wenig holprig, als sie bemerkten, dass ein Gast in der Nähe hustete, und darauf bestanden, an einen

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