Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
anderen Tisch gesetzt zu werden. Als die Bedienung verärgert reagierte, zog Glynis ihren Trumpf aus dem Ärmel: »Mein Immunsystem ist geschwächt. Ich habe Krebs.« Nachdem sie daraufhin hastig an einem Tisch im Obergeschoss platziert worden waren, brachte die Bedienung einen Amuse-Bouche aufs Haus mitsamt einer Entschuldigung. Als das Mädchen weg war, murmelte Glynis: »Wenn das Mesotheliom schon für sonst nichts gut ist.«
Glynis hatte kein explizites Alkoholverbot, und Shep warf einen Blick auf die Weinkarte. Champagner war für ihn nur eine bessere Limonade, und Glynis würde kaum mehr als ein Glas trinken. Dennoch wählte er einen teuren Veuve Clicquot. Vermutlich kaufte er wie die meisten Leute die Idee von Champagner.
»Auf deine Gesundheit«, sagte er und prostete ihr zu, um erfreut festzustellen, dass im gedimmten Licht die von der Chemo verfärbte Haut seiner Frau fast als Bräune durchgehen konnte. Sie sah reizend aus unter ihrem cremefarbenen Satinturban, der derart gut zu ihrem länglichen, scharf konturierten Gesicht passte, dass Außenstehende durchaus hätten annehmen können, dass das Tuch um ihren Kopf ein Modestatement sei.
»Was ich dir schon die ganze Zeit sagen wollte«, sagte Glynis und machte sich über ihre Krabbenküchlein her. »Gerade kommen mir wahnsinnig viele Ideen für neue Besteckprojekte. Eben im Auto zum Beispiel. Ich habe ein Bild vor Augen von einem Salatbesteck, zwei ineinander ruhende Löffel – der eine größer und dicker, und der andere dünner und sehniger, beide unterschiedlich, aber perfekt ineinandergefügt. Geschmiedet, nicht gegossen, alles mit einer leichten Kurve … Schwer zu erklären.«
Es war ein romantisches Bild. »Wenn du wieder anfängst zu arbeiten«, schlug er schüchtern vor, »wie wär’s denn mal wieder mit einem Springbrunnen? Mit mir zusammen. Nicht wie die verrückten Dinger, die ich so allein zusammenhaue, sondern was mit Stil, wie der Hochzeitsbrunnen. Wir haben ja seitdem nichts mehr zusammen gemacht.«
»Hmm … vielleicht für den Esstisch? Das könnte lustig werden. Das ist eine tolle Idee. Ich will nämlich unbedingt die verlorene Zeit aufholen.«
In Wahrheit beinhaltete ihre »verlorene Zeit« in Bezug aufs Kunstschmieden nicht nur die letzten sechs Monate, sondern den Großteil ihres verheirateten Lebens. Shep verlieh dieser indiskreten Beobachtung nur dadurch Ausdruck, dass er bedauernd feststellte: »Ich wünschte, du hättest nicht so viele Nachmittage mit Schokohasen verschwendet.«
»Genau das soll sich jetzt ja ändern.«
»Du hast deine Zeit mit Schokohasen verschwendet, um mir zu beweisen, dass du deine Zeit nicht mit Schokohasen verschwenden solltest.«
»So lässt sich das ungefähr zusammenfassen. Oder anders. Ich wollte dir zeigen, dass deine Verärgerung darüber, dass ich nicht sehr viel Geld nach Hause bringe, nichts war im Vergleich zu meiner Verärgerung darüber, dass ich zum Geldverdienen gezwungen wurde.«
»Ich hab dich nie dazu gezwungen, und ich war auch nie verärgert, dass du’s nicht getan hast.«
»So ein Schwachsinn.«
»Erzähl doch noch ein bisschen. Von deinen Besteckideen.«
»Also Themawechsel.«
»Ja.« Während er eine Riesengarnele in die Cocktailsauce tauchte, wagte Shep einen Gedanken, vor dem er sie seit Monaten bewahrt hatte. Ihre Zerbrechlichkeit war rein körperlich. Vielleicht brauchte er sie ja nicht auch noch in jeder anderen Hinsicht mit Samthandschuhen anzufassen. »Hättest du an meiner Stelle gearbeitet, um mich und die ganze Familie zu unterstützen, während ich zu Hause geblieben wäre, um meiner Leidenschaft nachzugehen? Zimmerspringbrunnen bauen, zum Beispiel? Gern? Ohne Widerworte?«
»Meine Arbeit war dir immer ein Dorn im Auge.«
»Du weichst mir aus. Die Frage war, hättest du’s getan?«
»Ganz ehrlich? Nein. Ich würde dich nicht unterstützen, während du Zimmerspringbrunnen baust. Frauen … Na ja, wir sind anders erzogen.«
»Ist das gerecht?«
»Gerecht?« Sie lachte. »Wer redet denn hier von gerecht? Natürlich ist das nicht gerecht!«
Glynis war so gut in Form, dass Shep hätte heulen können. Sie aß die Krabbenküchlein; sie aß ihre Seezunge mit Zitrone. Sie aß die Petersilienkartoffeln und zwei Scheiben Brot. Sie erwähnte gar nicht weiter, dass sie mit ihrem abgestumpften Gaumen nicht sonderlich viel mitbekam von dem edlen Fischgericht. Stattdessen ertränkte sie beide Gänge in Tabasco, damit sie wenigstens nach irgendetwas schmeckten,
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