Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
ihre Finger weckten in ihm das Bewusstsein, dass seine Frau noch keine Leiche war. Er brauchte vor ihrem Körper nicht zurückzuschrecken, als könnte er sie beschmutzen, sich an ihr vergehen. Ihre Hand weckte in ihm ein jähes Bedürfnis, eines, das ihm völlig abhanden gekommen war angesichts der unablässigen, drängenderen Rufe nach Kartoffeln und Fleecedecken, nach vorsichtigen, langsamen Fahrten zur Chemotherapie. Eigentlich sollte man als Mann doch unentwegt an Sex denken, aber das war bei ihm nicht mehr der Fall, und die Erinnerung daran war auf einmal so heftig, dass sie wehtat.
Er hatte Bedenken, sich auf sie zu legen. Sie hatte sein volles Gewicht zwar immer genossen, aber er wollte sie nicht zerquetschen und stützte sich links und rechts mit beiden Händen ab. Er lehnte sich auf einen Ellenbogen, griff nach der Gleitcreme auf dem Nachttisch, drehte mit einer Hand die Verschlusskappe auf und drückte sich einen Tupfer klares Gel auf den Zeigefinger. Als sie zum ersten Mal auf diese kleine Hilfe zurückgegriffen hatten, war sie gekränkt gewesen, als wollte man sie der mangelnden Begeisterung überführen. Aber er hatte auf sie eingeredet, dass sie von der Krankheit geschwächt sei und dass es nichts zu bedeuten habe, wenn es ihrem Körper nicht gelingen wollte, die Maschine zu ölen. Und als er den Finger zwischen ihre Beine gleiten ließ, waren ihre Lippen tatsächlich trocken; nur die Creme gab ihm das Gefühl, dass dies wirklich seine Frau war.
Es ging noch immer. Er küsste sie, und mit dem metallischen Geschmack in ihrem Mund war es, als würde er an einer Münze lutschen, als wäre er im Begriff, sich von innen nach außen in Metall zu verwandeln. Er sah ihr in die Augen, die trübe und gelbstichig waren, aber noch immer konnte er sie erkennen. Die Pupillen waren klein und permanent verängstigt. Es war nicht so sehr Lust, die er darin las, als Lust auf die Lust, und das würde genügen müssen. Verlegen sah er an sich hinunter und fühlte sich massig, breit und wabbelig im Vergleich. Sie umfasste seine kräftige Brust, die Nägel drückten sich ins Fleisch. Mit jener Zaghaftigkeit und Zartheit, die ihr verhasst war, drang er in sie ein. Sie griff nach seinen Pobacken und schob ihn in sich hinein.
Und so erlaubte er sich, zu vergessen. Er erlaubte sich, sie zu ficken, so hart und tief, wie sie es immer gemocht hatte, mit einer Spur von Gewalt. Beim Kommen glaubte er daran, dass dies die Spritze sei, die sie heilen würde, eine Spritze, die ausnahmsweise nicht voller Gift, sondern voller Leben war. Das Gift kostete 40 000 Dollar. Dieses Elixier war umsonst.
Das hätte es eigentlich sein müssen. Doch bevor sie in seinen Armen einschlief, murmelte Glynis deutlich: »Und? Meinst du, du hast am Ende noch genug übrig?«
Sheps Gesicht brannte. Er tat, als wisse er nicht, was sie meinte, und strich ihr stattdessen schweigend übers Haar (und hatte einige Strähnen in der Hand). Nach so langer Zeit zusammen mit einer Frau war es beschämend, wie gut sie einen kannte. Wie genau sie wusste, was man dachte, auch wenn man sich alle Mühe gab, es nicht zu denken, die Gedanken sogar vor sich selbst zu verstecken. Genug was übrig? Natürlich Geld. Nur Geld, Papa – was sonst beschäftigte den erstgeborenen Knacker vor allen Dingen?
Und wenn ihn die Fähigkeit zu derartigem Kalkül als sündigen und selbstsüchtigen Mann hinstellte, dann war das eine Grundwahrheit, mit der er leben musste. Ein Jenseits für eine Person wäre gerade mal halb so teuer wie ein Jenseits für zwei. Für eine Einzelflucht hätte er noch genug, aber nur dann, wenn Glynis bald starb.
Kapitel 11
Shepherd Armstrong Knacker
Merrill Lynch Konto-Nr. 934 – 23F917
01. 06. 2005 – 30. 06. 2005
Gesamtnettowert des Portfolios: $ 452 198,43
Als er Glynis mal wieder zur Columbia-Presbyterian-Klinik fuhr, war Shep in der Verlegenheit, für seine Gefühle eine Analogie finden zu müssen, die nicht ans Lächerliche grenzte. War es wie damals, als er den Briefumschlag mit den Ergebnissen seines Hochschul-Zulassungstests geöffnet hatte? Oder war es wie im April nach dem Verkauf der eigenen Firma, als er Daves Bürotür öffnete und im nächsten Moment erfahren würde, wie viel von der Million er nun dem Finanzamt schuldete?
Nein, für die Fahrt zur Klinik, um die Ergebnisse von Glynis’ erster Computertomografie seit Beginn der Chemotherapie einzuholen, gab es keinen Vergleich. Sie redeten nicht. Geredet hatten sie schon. Nichts,
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