Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
Argentinien kollabierte, hätten wir die Gelegenheit gehabt. Davor hätten wir während der Finanzkrise in Südostasien mehr oder minder alles kaufen können. Aber inzwischen haben sich all diese Währungen wieder erholt, und dreißig bis vierzig Jahre würden wir mit unseren Reserven in keinem dieser Länder auskommen. Auf Kuba konntest du ohne Haarshampoo und Klopapier nicht leben. Kroatiens Einwanderungsbestimmungen waren dir zu kompliziert. Die Slums in Kenia waren dir zu deprimierend; in Südafrika hattest du Schuldgefühle, weil du Weiße bist. Laos, Portugal, Tonga und Bhutan – ich kann mich nicht mal mehr erinnern, was an den Ländern verkehrt war« – und er fügte verbittert hinzu –, »aber du bestimmt schon.«
Glynis verströmte eine aggressive Milde und wirkte belustigt. »Aber Frankreich hast du ja verworfen«, flötete sie.
»Das stimmt. Die Steuern hätten uns den Rest gegeben.«
»Immer dieses Geld, Shepherd«, sagte sie tadelnd.
Auf einmal ging ihm auf, dass genau die Leute, die immer taten, als wäre das Thema Geld unter ihrer Würde – Künstlertypen wie seine Schwester oder sein alttestamentarischer Vater –, nie nennenswert viel verdienten. Glynis wusste ganz genau, dass sich das Jenseits finanziell rechnen musste, sonst wäre es einfach nur ein langer, ruinöser Urlaub.
»Du hast uns hinten und vorne ausgebremst«, fuhr er fort. »Nicht nur ist kein Ziel gut genug, sondern es ist nie die richtige Zeit. Wir müssen warten, bis Amelia aus der Schule ist. Wir müssen warten, bis Amelia fertig studiert hat. Wir müssen warten, bis Zach die Grundschule hinter sich hat. Die Mittelschule. Jetzt ist es die Highschool. Wir müssen warten, bis sich unsere Investitionen von der Dotcom-Blase erholen, und dann vom elften September. Also, es ist jetzt so weit.«
Shep war es nicht gewohnt, so viel zu reden, und er kam sich idiotisch vor. Vielleicht war er genauso süchtig nach Widerstand wie Glynis, das heißt: süchtig nach ihrem Widerstand. »Du hältst mich für egoistisch. Vielleicht bin ich das wirklich. Es geht aber nicht um Geld, es geht um« – beschämt hielt er inne – »um meine Seele. Du wirst jetzt sagen, und du hast es auch schon gesagt, dass es nicht so sein wird, wie ich erwarte. Das akzeptiere ich. Ich mache mir keine Illusionen, dass ich den ganzen Tag am Strand liegen werde. Ich weiß, die Sonne wird langweilig, und es gibt Fliegen. Aber trotzdem, so viel kann ich dir sagen: Ich habe vor, acht Stunden Schlaf zu bekommen. Hört sich lächerlich an, ist es aber nicht. Ich schlafe nun mal wahnsinnig gern, Glynis, und« – jetzt bloß keine zugeschnürte Kehle, bevor es raus war – »besonders gern schlafe ich mit dir. Aber wenn ich auf einer Dinnerparty in Westchester erzähle, dass ich acht Stunden Schlaf brauche? Da lachen die Leute. Für die Pendler hier in der Gegend ist das eine so absurde Ambition, dass sie bloß Heiterkeit auslöst. Also ist es mir egal, was ich sonst noch so in Pemba machen werde oder dass es ständig Stromausfälle gibt. Wenn ich jetzt wieder einen Rückzieher mache, wüsste ich tief in meinem Herzen, dass die Sache gegessen ist. Und ohne ein gelobtes Land, auf das ich mich freuen kann, kann ich nicht weitermachen, Gnu. Ich kann nicht weitermachen und Randys ungelernten Trotteln hinterherräumen. Ich kann nicht weiter auf dem West Side Highway im Stau stehen und NPR hören. Ich kann nicht weiter zum Supermarkt fahren und Milch kaufen und unsere Bonuskarte aufstocken, damit wir, nachdem wir mehrere Tausend Dollar dagelassen haben, einen Gratis-Thanksgiving-Truthahn bekommen.«
»Es gibt schlimmere Schicksale.«
»Nein«, sagte er. »Da habe ich meine Zweifel. Ich weiß, wir haben jede Menge Elend gesehen – überschwemmte Kanalisationen und Mütter, die nach Mangoschalen im Müll wühlen. Aber diese Leute wissen, was in ihrem Leben falsch läuft, und sie haben die Vorstellung, dass es ihnen mit ein paar Shillingen oder Pesos oder Rupien in der Tasche besser ginge. Das Schlimmste ist doch, dass man immer wieder vorgebetet bekommt, man würde das beste Leben auf Erden führen und es gäbe kein besseres, und trotzdem ist es scheiße. Das hier soll das großartigste Land der Welt sein, aber Jackson hat recht: Man wird nur abgezockt, Glynis. Ich muss vierzig verschiedene Passwörter haben, für Banking und Telefon und Kreditkarte und Internet-Account, und vierzig verschiedene Kontonummern, und wenn man alles zusammenzählt, dann hat man die Summe seines
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