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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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werden.«
    »Manche«, sagte sie vorwurfsvoll und zog ihre Jacke aus.
    »Möchtest du auch einen?«
    Überraschenderweise sagte sie Ja.
    Glynis war noch immer schlank, und niemand schätzte sie auf fünfzig, wobei sie heute so erschöpft wirkte, dass man sie sich auf einmal mit fünfundsiebzig vorstellen konnte. Mindestens seit September schon war sie stets müde gewesen und hatte ständig über leichtes Fieber geklagt, das Shep allerdings nicht bei ihr hatte ausmachen können. Obwohl sie in letzter Zeit ein kleines Bäuchlein entwickelte, war der Rest ihres Körpers, wenn er sich überhaupt verändert hatte, dünner geworden; eine solche Gewichtsverteilung war in den mittleren Jahren normal, und er war zu sehr Gentleman, um eine Bemerkung darüber fallenzulassen.
    Dass sie beide kurz nach neunzehn Uhr schon harte Spirituosen zu sich nahmen, erzeugte ein warmes Gefühl der Eintracht, das er nur ungern untergraben wollte. Doch sein harmloses »Wo warst du denn?« hatte etwas von einer Anklage.
    Ausweichende Antworten waren bei ihr normal, aber dass sie überhaupt nicht reagierte, kam selten vor. Er ließ es dabei bewenden.
    In ihrem üblichen Sessel sitzend drückte sie schützend ihren Highball an sich, zog die Knie hoch und schob die Fersen unter. Sie wirkte eigentlich immer verschlossen, in gewissem Sinne zusammengeballt, aber heute war das ganz besonders der Fall. Vielleicht erahnte sie seine Absicht, nach so langem Vorlauf. Als Shep in seine Innentasche griff und wortlos drei e-Tickets auf den Glastisch neben den Hochzeitsbrunnen legte, zog sie die Augenbrauen hoch. »Jetzt bin ich aber gespannt.«
    Glynis war eine elegante Frau, und sie interessierte ihn – in der Art, wie schlichtere Gemüter gern von verkorksten Menschen gefesselt sind. Er hielt inne und überlegte, ob es im Jenseits ohne Glynis, ob nun als Partner oder als Gegner, nicht sehr einsam werden würde.
    »Drei Tickets nach Pemba«, sagte er. »Ich, du und Zach.«
    »Schon wieder eine ›Recherchereise‹? Hättest du dir das nicht vor den Weihnachtsferien einfallen lassen können? Zach hat doch schon wieder Schule.«
    Obwohl sie den Begriff sonst nie in Anführungszeichen gesetzt hatte, gemahnte der leicht verbitterte Unterton, mit dem sie das Wort »Recherchereise« aussprach, an Pogatchniks hämisches »Fluchtphantasie«. Er bemerkte, wie schnell sie einen Grund zur Hand hatte, um seinen Vorschlag als unmöglich einzuschätzen, wie hastig sie sogar den vermeintlichen Kurztrip abtat. Bei seiner Arbeit setzte Shep seine Intelligenz ein, um Probleme zu lösen; Glynis dagegen setzte ihre Intelligenz ein, um Probleme zu erfinden, sich Steine in den Weg zu legen. Dieses exzentrische Verhalten hätte ihm ja nichts ausgemacht, wenn ihr Weg nicht auch sein Weg gewesen wäre.
    »Die Tickets sind nur für die Hinreise.«
    Sobald der Groschen fiel, hatte er gedacht, sobald sie die wahre Natur des Fehdehandschuhs erkannte, den er da auf den Wohnzimmertisch geworfen hatte, würde sich ihr Gesicht verfinstern, andächtig werden oder in Vorbereitung auf den Kampf in Misstrauen erstarren. Stattdessen wirkte sie leicht belustigt. Häme war er von Randy gewohnt (»Na klar ziehst du nach Afrika, schon in wenigen Tagen, du und Meryl Streep«), und auch wenn er sich dafür hasste, spielte er gelegentlich sogar mit. Doch es ging ihm an die Nieren, dass er nun von Glynis den gleichen mitleidigen Zynismus zu spüren bekam. Er wusste ja, dass sie keine Lust mehr aufs Jenseits hatte, aber dass ihre Einstellung so negativ geworden war, hätte er nicht gedacht.
    »Verschwendung«, sagte sie ruhig. »Das sieht dir nicht ähnlich.«
    Sie vermutete ganz richtig, dass die Hinreise allein mehr gekostet hatte als eine Hin- und Rückreise. »Es soll eine Geste sein«, sagte er. »Es geht hier nicht um Geld.«
    »Ich kann mir nicht vorstellen, dass du irgendetwas tust, wobei es nicht um Geld geht. Dein ganzes Leben, Shepherd«, erklärte sie, »dreht sich doch nur um Geld.«
    »Aber nicht um Geld als Selbstzweck. So geldgierig war ich nie, das weißt du – ich habe nie einfach nur reich sein wollen. Ich will mir auch was dafür kaufen können.«
    »Früher habe ich dir das abgenommen«, sagte sie traurig. »Jetzt frage ich mich, ob du irgendeine Ahnung davon hast, was du dir eigentlich kaufen willst. Du weißt doch nicht mal, aus was du raus willst, geschweige denn, was du anfangen willst.«
    »Oh doch«, konterte er. »Ich will mich freikaufen. Tut mir leid, wenn ich schon wieder

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