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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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befand sich der Treppenabsatz genau vor dem Arbeitszimmer dieser Niete. Jackson war immer stolz darauf gewesen, Leben in anderer Leute Häuser zu bringen und nicht nur der übliche mundfaule Handwerker-Muskelprotz zu sein. Er plauderte munter drauflos – manchmal über den Job selbst, aber öfter noch über das aktuelle Tagesgeschehen. So wie andere Leute bei der Arbeit pfiffen, nur weniger nervtötend. Eingedenk seines Status als vielseitiger Autodidakt – zum Beispiel hatte er sich die Bedeutung des Wortes Autodidakt selbst beigebracht –, gewährte er den Hauseigentümern durch seine erbaulichen Geschichten die Möglichkeit, etwas dazuzulernen. Sie hätten eigentlich dankbar sein müssen, dass er nicht dafür auch noch Geld verlangte.
    Doch als Jackson am dritten Tag zu seinem Setzstufenjob aufbrechen wollte, hatte Shep ihn zur Seite genommen und gesagt: »Dieser Typ in Clinton, er will, dass du … na ja … Er will, dass du die Klappe hältst.« Anscheinend war der Setzstufentyp irgendein Romanschriftsteller, der sich bei dem Gerede auf seiner Treppe nicht »konzentrieren« konnte. Der Kunde hatte alles, was Jackson erzählt hatte, geradezu verschlungen und hegte garantiert die Absicht, diesen unwahrscheinlich intelligenten, eloquenten, übermenschlich großen »Charakterkopf« aus der Welt des Heimwerkerservice in einer seiner öden, unpublizierbaren Kurzgeschichten unterzubringen.
    Klar hatte Jackson den Job durchgezogen und dabei die Klappe gehalten – zumindest sah er das so –, aber von Shep hätte er sich damals doch ein wenig mehr Solidarität gewünscht. Als Jackson eingewendet hatte, das Shep doch wisse, wie diese überheblichen Schriftstellertypen so seien: ständig dieser Horror vor dem leeren Bildschirm, ständig auf der Suche nach Ablenkung, nach einem Vorwand, um ihrer armseligen, pygmäengroßen Phantasie zu entfliehen, doch als er erklärt hatte: »Ich sag dir, der Kunde war total hin und weg, es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte mitgeschrieben«, da hatte Shep ihm nicht mit Das glaub ich dir gern zugestimmt, sondern ihn unterbrochen und gesagt: »Hör zu, lass mal gut sein. Nur dieses eine Mal, ja? Wir machen unsere Arbeit, der macht seine Arbeit. Du bist kein Fernsehmoderator, du bist Handwerker.« Das war wirklich eine unnötige Härte gewesen, denn Shep wusste genau, wie sehr Jackson das Wort Handwerker hasste, für dessen Ersatz durch etwas Würdigeres, weniger Billiges auf ihrer Visitenkarte er sich stark gemacht hatte – zum Beispiel so was wie Berater für Bau- und Instandhaltung. Aber nein, auf der Karte musste Handwerker stehen, denn das sei das Wort, das die Kunden »verstünden«. Schlimmer noch, Shep hatte durchblicken lassen, dass Jacksons Gerede allen auf die Nerven gehe, dass dieser Typ einfach nur der Erste sei, der sich beschwert habe. Jackson hatte Shep beim Verkauf vom Allrounder und beim Überbordwerfen von Pemba und jetzt mit Glynis immer zur Seite gestanden, aber offensichtlich funktionierte die Unterstützung nicht unbedingt auch in die umgekehrte Richtung.
    »Diese Bluttransfusionen dauern ungefähr fünf Stunden «, erklärte Shep gerade. »Und Glynis wird immer noch flau, wenn sie die Kanüle einführen. Aber unsere Nachbarin, Nancy, ist wirklich unglaublich. Sie begleitet Glynis immer, wenn ich nicht kann. Sie hält ihr die Hand und bringt sie auf andere Gedanken, mit Kochrezepten und so Zeug – und dann kommt Glynis nach Hause und kann die Zutaten für einen komplizierten, ekelhaft klingenden Hüttenkäse-Ananas-Dip runterbeten. Man muss versuchen, sie davon abzuhalten, dass sie auf die Nadel schaut. Und das ist gar nicht so einfach. In letzter Zeit haben sie Probleme, eine Vene zu finden, und müssen mehrmals reinstechen. Nancy ist unglaublich langweilig, aber nett. Langweilig macht mir kaum noch was aus. Alles, was mich interessiert, ist, dass die Leute nett sind.«
    Jackson war nicht sicher, ob dieses Kompliment an irgendeine wildfremde Tante durch die Blume als Kritik gemeint war. Nach seiner anfänglichen Treue hatte er Glynis seit mehreren Wochen schon nicht mehr besucht. Kunden zu unterhalten war eine Sache; bei einer Freundin, die gerade durch die Hölle ging, die vorgefertigten Schimpftiraden weiterzuführen hatte irgendwann einen künstlichen Beigeschmack bekommen. Aber er wusste nicht, worüber er sich sonst mit ihr hätte unterhalten sollen, und er hatte seine eigenen Probleme.
    »Inzwischen wurde mein Vater aus dem Androscoggin Valley

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