Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
noch, was du mir mal zum Thema Glücksspiel gesagt hast? Wenn die Leute nicht meistens verlieren würden, gäbe es überhaupt keine Glücksspielindustrie.«
»Ja, sicher«, sagte Shep. »Aber du gehst doch nicht etwa immer noch –?«
»Komm mal runter, vom Hunderennen lass ich inzwischen komplett die Finger«, sagte Jackson hastig. Auf die eine oder andere Lüge kam es inzwischen nicht mehr an. »Ich will doch nur sagen, Krankenversicherungen funktionieren genauso, oder etwa nicht? Alle Versicherungen. Im Durchschnitt muss man sein Leben lang mehr einzahlen, als man rausbekommt, sonst würde es diese Firmen doch gar nicht erst geben. Und deshalb ist jede Krankenversicherung ipso facto Betrug.«
»Ipso facto!« Shep lachte in sich hinein. »Klingt wie ’ne Waschmittelreklame aus den Fünfzigerjahren. Wo schnappst du dieses Zeug bloß immer auf?«
»Ich lese viel. Könnte dir auch nicht schaden.«
»Klar doch. Nachdem ich den ganzen Tag arbeite, in den Supermarkt gehe, Essen koche, Medikamente für Glynis besorge … Ihr eine Spritze Neupogen in den Hintern jage, nachdem ich sie vorher unter Lorezepam gesetzt hab, damit sie wegen der Spritze nicht hysterisch wird … Ihr Gesellschaft leiste, weil sie nicht schlafen kann, um zwei Uhr morgens Wäsche wasche und um drei die Rechnungen bezahle … Dann kann ich ja noch mal mit ’nem dicken Wälzer die Füße hochlegen, bevor um fünf der Wecker klingelt.«
»Na und? Flicka ist auch ein Vollzeitjob, und ich schaff jede Menge Bücher.«
»Du hast ja auch Carol.«
Davon, dass Jackson Carol »hatte«, konnte leider nicht die Rede sein, jetzt noch weniger als je zuvor. »Na ja, ist ja hier kein Wettbewerb«, sagte er.
»Ein Wettbewerb, wer von uns beiden mehr Selbstmitleid hat? Das könnte hart werden.«
»Von Selbstmitleid hab ich nie was gesagt«, sagte Jackson.
»Ich schon.«
»Warum solltest du mit mir Mitleid haben?«, sagte Jackson schroff.
Shep warf seinem Freund einen hastigen Blick zu. »Ich hatte das auf mich bezogen, du Vollidiot. Mit dir auch noch Mitleid zu haben wär ein bisschen viel verlangt.«
»Okay, lassen wir das.«
Verkrampft und schweigend gingen sie weiter.
Jackson hatte mal festgestellt, dass er nach dem Kauf neuer Schuhe jedes Mal eine Phase durchlief, in der er nicht aufhören konnte, anderer Leute Schuhe anzusehen – und sie jeweils als schön oder hässlich einzustufen. Das gleiche Phänomen galt jetzt für die Schwänze anderer Männer. Bei jedem Jogger und jedem Gassigänger, an dem sie vorbeikamen, stellte er fest, dass er zwanghaft die Wölbung unter dem Reißverschluss musterte und diejenigen bitter beäugte, die viel in der Hose hatten. Fahrradfahrer in engen Lycrahosen zogen seinen Blick auf ihren Schritt, wo sie sicherlich ihre glatten, geraden und funktionierenden Gemächte schön verpackt hatten, die sie törichterweise als selbstverständlich hinnahmen. Inzwischen hielt ihn wahrscheinlich der ganze Park für eine Schwuchtel.
»Gestern musste Glynis wieder wegen einer Bluttransfusion ins Krankenhaus«, sagte Shep nach einer Weile, um ein wenig Konversation zu betreiben. »Die Anzahl ihrer weißen Blutkörperchen war viel zu niedrig. Die Chemo musste abgesagt werden. Sie ist nicht stark genug.«
»Zumindest hat sie mal ein bisschen Luft«, grunzte Jackson.
»Klar, aber der Krebs hat dann auch Luft. Goldman meint, dass sie Alimta und Cisplatin nicht mehr verträgt, und wenn sie dann doch wieder Chemo bekommt, werden sie den Cocktail ändern. Das Wort muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Cocktail. «
Jackson musste es Shep schon lassen, er gab sich wirklich alle Mühe – um entweder so zu tun, als wäre zwischen ihnen alles in Ordnung, oder um alles tatsächlich wieder in Ordnung zu bringen.
Im Gegenzug machte Jackson nur einen widerwilligen Versuch. »Ja, ich stell mir so ’n tolles Martiniglas von Tiffany vor, eisgekühlt und mit Zahnstocher und Olive – nur das, was da drinnen so schimmert, ist kein Bombay Gin mit einem Schuss Wermut, sondern Strychnin.«
Doch kaum hatte Jackson sich seines freundschaftlichen Engagements wegen auf die Schulter geklopft, da war es auch schon wieder um seine Aufmerksamkeit geschehen, weil er an einen quälenden Vorfall vor etwa zehn Jahren denken musste. Er war gerade dabei gewesen, bei irgendeinem Hampelmann die klapprigen Setzstufen auszutauschen; obwohl es sich um einen Ein-Mann-Auftrag handelte, erstreckte sich der Job über drei bis vier Tage. Und zufällig
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