Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
»Recycling« auf der stinknormalen Mülldeponie landete, und der frohgemut an die Polizeigewerkschaft spendete, obwohl er dadurch nicht im Geringsten freundlicher behandelt wurde von den Bullen.
Klar, politischen Biss hatte sie noch nie gehabt, aber trotzdem war Carol nicht schon immer so gewesen. Damals hatten sie sich kennengelernt, als sie für ein Haus, für das er einen dicken Rigipsauftrag hatte, den Garten entwarf; den Hausbesitzer hatten sie als Arschloch und sich gegenseitig als Verbündete betrachtet. Insofern war es nicht von Belang gewesen, dass sie, wie sich herausstellte, trotz Fronarbeit nach dem College einen Abschluss in Gartenbau von der Penn State hatte oder dass ihr Vater (der immer der Ansicht war, seine Tochter habe unter ihrem Stand geheiratet) kein dahergelaufener Handwerker war, sondern Bauunternehmer. Damals bei dem Job fühlte sich Jackson von einer hübschen Frau in den Bann gezogen, die keine Angst hatte, sich die Hände schmutzig zu machen, und ihre Fünfzehn-Kilo-Torfsäcke selbst wuchtete. Aber am meisten gefiel ihm, dass sie sich streiten konnte. Sie war mit nichts von dem, was er sagte, einverstanden, hatte aber offenbar Spaß daran, beim Feierabendbier grandios mit ihm zu streiten. Heute tat sie so, als hätte sie den Sieg von vorneherein in der Tasche, wozu also die Mühe, was rätselhaft war, da Jackson sich nicht erinnern konnte, auch nur einen einzigen Streit verloren zu haben.
Und auch diese spielverderberische Ernsthaftigkeit hatte sie früher nie ausgestrahlt. Sie war immer zum Schreien komisch gewesen oder hatte immerhin über seine Witze gelacht. Schuld war vermutlich Flicka. Die Verantwortung verändert einen. Das war auch mit ein Grund, weshalb Carol heute kaum noch Alkohol trank: Jederzeit konnte das Leben ihrer Tochter davon abhängen, dass ihre Mutter einen klaren Kopf hatte. Es war, als wäre man Arzt, nur ohne den Golfklub. Man hatte immer Bereitschaftsdienst.
Also kehrte Jackson zu jenem Thema zurück, bei dem seine Frau nun überraschend Engagement an den Tag legte. »Du verstehst nicht, warum mir so viel daran liegt, dass Shep dieses Zerrbild von Freiheit hinter sich lässt. Aber drehen wir den Spieß um. Was liegt dir daran, dass er’s nicht tut?«
»Ich habe nicht gesagt, dass mir daran etwas liegt«, sagte Carol. »Ich sagte, er ist ein liebenswerter, rücksichtsvoller Mensch, der seine Familie niemals im Stich lassen würde.«
Jackson knallte seinen Stiefel zurück auf das blaue Forbo Marmoleum (und wer hatte ihm beim Verlegen geholfen? Shep Knacker ). »Du kannst die Idee einfach nicht ertragen, dass es irgendjemandem gelingen könnte, aus allem rauszukommen! Dass jemand vielleicht mal nicht wie ein Automat durchs Leben stapft und im Gleichschritt in sein Grab marschiert! Dass es vielleicht einen echten Mann geben könnte. Mit Mut! Phantasie! Einem eigenen Willen !«
»Du suchst Streit, ja? Toll, so schaffst du’s hundertprozentig, deine Tochter aufzuregen. Aber bitte, nur zu, mach sie nervös«, murmelte Carol gleichmäßig und mit dieser an Wahnsinn grenzenden Ruhe. » Du musst ihr ja kein Diazepam in den Hintern schieben, weil sie die Tabletten nicht bei sich behalten kann.«
Kaum hatte sie das Medikament erwähnt, kam Heather wie auf Stichwort in die Küche gehüpft. »Ist es nicht Zeit für mein Cortomalaphrin?« Jackson hatte keine Ahnung; er konnte sich nicht merken, ob sie so taten, als müsse sie vor oder nach den Mahlzeiten ihre Tabletten einnehmen.
»Heather, ich muss kochen, weil wir heute Besuch bekommen, der jeden Moment hier sein kann, also nimm’s doch einfach nach dem Essen, wenn Flicka ihre Medikamente zerstößt.«
»Ich fühl mich aber schon ein bisschen komisch«, protestierte Heather leicht schwankend. »Mir ist schwindlig, und es prickelt, und mir ist heiß und so. Ich kann mich überhaupt nicht konzentrieren.«
»Ach, meinetwegen; gieß dir ein Glas Milch ein.« Carol schloss das obere Schränkchen auf; Pillen aus Zucker unter Verschluss zu halten war natürlich völlig überflüssig, aber es gehörte zur Show. So wie der Name »Cortomalaphrin«, ein Name, den sie mühelos in Anlehnung an Catapres, Clonazepam, Diazepam, Florinef, Rotalin, ProAmatine, Depakote, Lamictal und Nexium erfunden hatten, die seit Jahren auf Flickas Medikamententabelle prangten wie Unsinnsreime aus Alice im Wunderland . Auf dem selbstgedruckten Etikett stand »Cortomalaphrin«, mitsamt den Dosierungsempfehlungen. Jackson war fassungslos gewesen,
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