Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
einer gereizten, übergewichtigen Krankenschwester aus Ghana mit einem kalten nassen Schwamm die Geschlechtsteile abschrubben lassen –, da kann da oben ja wohl keiner sein. Er sagt, genau das hätte ihm seine Gemeinde zu sagen versucht, wenn wieder ein Kind gestorben war oder jemand einen Autounfall hatte und auf einmal sabbernd im Rollstuhl saß, und er habe nichts davon wissen wollen, aber jetzt sei der Groschen gefallen.«
»Wow. Eigentlich ganz schön anspruchsvoll.«
»Ich fand’s schrecklich.«
Jackson blieb stehen und wandte sich zu ihm. »Ich dachte, du glaubst nicht an diesen religiösen Quatsch.«
»Tu ich ja auch nicht wirklich. Ich meine, tu ich nicht. Die Story ist gut, aber zu ausgefallen für meinen Geschmack – die ganze Sache mit dem Sohn Gottes und der unbefleckten Empfängnis. Und jede Religion, die behauptet, dass unsere Spezies, auf diesem einen Planeten, der diesen einen Stern umkreist, zufälligerweise den Sinn des Universums ausmachen soll – da kann man doch nur stutzig werden. Wenn man nach oben in den Himmel guckt, mit allem, was sonst noch so da draußen ist, ist das statistisch gesehen schlichtweg unwahrscheinlich. Und ein paar Sachen, die ich in diesen wirklich armen Ländern gesehen habe, in die ich mit Glynis gereist bin: offene Gullys, eiternde Wunden, kleine Kinder, die von den Parasiten im Wasser blind werden … da kommt man nicht auf den Gedanken, dass da oben jemand sitzt, der alles in der Hand hat – zumindest niemand, der es gut mit uns meint. Trotzdem, Papas Glaube hat mich auch immer ein bisschen beruhigt. Wenn ich glaube, dass es nichts gibt und er auch denkt, dass es nichts gibt … ich weiß nicht. Plötzlich ist das alles ein bisschen unheimlich. Ich überlege, was ich wirklich tun sollte, wenn mir ernsthaft was an ihm liegt. Und ich glaube, ich sollte versuchen, ihm einzureden, dass er wieder an irgendwas glauben soll, woran ich nicht glaube. Ich sollte ihm aus dem Buch Hiob vorlesen. Sollte ihm am Telefon ›Alles, was Odem hat‹ vorschmettern. Diese atheistischen Gespräche neuerdings finde ich wahnsinnig deprimierend. Großer Gott, ich dachte, die Leute würden zum Glauben finden, wenn sie Angst vor dem Tod haben.«
»Hat Glynis doch auch nicht.«
»Sie ist zu verkorkst. Selbst wenn sie die Erleuchtung hätte, würde sie’s nicht zugeben, und sei es nur, um ihrer Schwester eins auszuwischen. Außerdem ist sie so überzeugt, dass sie nicht stirbt, dass sie sich sogar weigert, Angst davor zu haben.«
»Wenn es auch nur irgendwas mit Willenskraft zu tun hat, wird Glynis noch hundert Jahre alt.«
»Glaubst du an ein Jenseits? Also, das normale Jenseits.«
»Ach was«, sagte Jackson. »Außerdem will ich das gar nicht. Mal ehrlich, wer will denn noch mehr von dem hier ?«
»Ich glaube, es geht darum, dass es da kein Mesotheliom oder Allrounder-dot-com gibt.«
»Trotzdem. Ich hab’s langsam satt, Kumpel.«
»Was denn?«
»Alles. Den ganzen verdammten Scheiß.«
Shep warf ihm wieder so einen Blick zu.
Sie kamen am Gehege vorbei, wo eine junge Frau ein Pferd herumführte, das aussah, als wäre ihm kalt. Sie warf dem seltsamen Kerl in Schaffelljacke und Bermudashorts einen Seitenblick zu, aber mochte vielleicht dadurch beruhigt gewesen sein, dass immerhin der stämmige Typ, der ihn begleitete, halbwegs normal aussah. Der Prospect Park war fast menschenleer, die Äste wie ausgefahrene Krallen, der breiartige Himmel klumpig und erstarrt. Die asphaltierte Straße, die rings um den Park führte, war salzfleckig, während die harten schwarzen Eisklumpen am Straßenrand allmählich tauten und gefrorene Hundehaufen zum Vorschein kamen. Parks hatten im Winter in der Stadt eigentlich nichts verloren. Sie waren einfach fehl am Platz.
Sheps Ansage war so grau und karg wie die Landschaft: »Möglicherweise muss ich mich für bankrott erklären.«
Bis jetzt hatte sich Jackson in eine hübsche elegische Apathie gleiten lassen, ein so narkotisiertes Schweben über den Dingen, dass er von oben sehen konnte, wie ihre beiden Gestalten am Ausgang an der 15th Street um die Ecke bogen. Doch Sheps Enthüllung brachte ihn sehr schnell wieder mit dem Hintern voran auf den Bürgersteig. »Komm, das ist nicht dein Ernst! Bei all der Kohle, die du für den Allrounder eingesackt hast?«
»Vierzig Prozent Selbstbeteiligung. Mein Vater, Amelias Prämien … Inzwischen hab ich alles, was ging, auf Ebay verkauft: Glynis’ Auto, meine Angelausrüstung, meine Plattensammlung;
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