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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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hinzufahren und alles an notwendiger Kleidung, Flickas Medikamente und vielleicht Carols Computer zu holen. Von den vielen Gefallen, die er in den letzten Jahren seinen Freunden angeboten hatte, schien dieser der größte zu sein.
    Als sie zugab, dass das Angebot der Nachbarin gut gemeint gewesen sei, dass sie aber nicht sonderlich eng befreundet seien – das Verhältnis beschränkte sich eher auf den Austausch von Torten und den freundlichen Hinweis, dass das Auto mal wieder auf die andere Straßenseite umgeparkt werden müsste –, bat er sie inständig, ihre verbleibende Familie doch stattdessen nach Elmsford zu bringen. Amelias Zimmer stand frei, und unten gab es noch die Couch. Er gab zu, Glynis noch nicht von Jacksons Tod erzählt zu haben. Aber sie werde das schon wegstecken, sagte er, auch wenn er noch nicht genau wisse, wie.
    »Es geht wohl eher darum, dass du es selbst wegstecken musst«, sagte Carol mit aschfarbener Stimme. »Sie ist krank, aber sie ist immer noch bei uns. Nur weil sie krank ist, heißt das nicht, dass sie blöd oder ein kleines Kind ist. Frag Flicka. Glynis war mit Jackson befreundet, und sie hat das Recht, zu erfahren, was los ist. Wenn ich es einer Zwölfjährigen sagen kann«, die Pause war gewichtig, »dann kannst du es auch deiner Frau sagen.«
    »Es ihr zu sagen«, sagte er, »macht es wohl auch für mich realer.«
    »Es war real«, sagte Carol erschöpft. »Es war sehr, sehr real.«
    »Jackson und ich haben gestern einen langen Spaziergang gemacht. Ich hätte was merken müssen. Aber ich war zu sehr mit meinen eigenen Problemen beschäftigt. Das Einzige, was mir auffiel, war, dass er ungewöhnlich im Reinen war mit sich. Philosophisch. Im Prinzip war es das einzige Mal, an das ich mich in letzter Zeit erinnern kann, wo er mal nicht total verärgert war. Vielleicht hätte ich stutzig werden müssen, wenn ich nur besser aufgepasst hätte.«
    »So macht man das dann«, sagte Carol. »Die Vergangenheit durchkämmen, die Schuld auf sich nehmen. Aber Jackson hatte es ja ständig mit dem Thema Eigenverantwortung. Wenn, dann ist es Jacksons eigene Schuld. Seine und …« Sie seufzte. »Ich will nicht schon wieder damit anfangen, aber auch meine.«
    »Jetzt machst du genau das Gleiche.«
    »Sag ich doch. Es ist zwanghaft.«
    Er beschwor sie noch einmal, nach Elmsford zu kommen, und sie gab nach. Sie machten aus, dass sie am Abend gegen neun mit den Mädchen vorbeikommen würde. Unterdessen hatte Shep sich einen Termin bei Philip Goldman geben lassen, mit dem es, ohne das Beisein seiner großartigen, aber doch wahnhaften Frau, zu sprechen höchste Zeit wurde.
    »WIE SOLL MAN das jetzt verstehen«, fragte Shep in Goldmans Büro, »mit diesem Versuchsmedikament?«
    Normalerweise strahlte der Internist Ausgelassenheit aus; er sprengte gewissermaßen den Rahmen seines kleinen Zimmers, er pflegte den Fuß auf den Schreibtischrand aufzustützen, federnd seinen Stuhl zurückzuschieben und aufzuspringen, um Skizzen irgendeines medizinischen Vorgangs auf kleine Zettelchen zu machen, seine Argumente mit ausladenden Gesten seiner großen Hände zu unterstreichen. Aber diesmal hatte seine unbändige Energie etwas Verkrampftes, und seine Unruhe beschränkte sich auf ein Zappeln. Die winzig kleinen, kreisenden Bewegungen mit der Bleistiftspitze und das Wackeln mit dem Knie beraubten den Arzt jener großen kinetischen Show, auf welcher seine Illusion von Attraktivität beruhte. Dass er zu nah zusammenstehende Augen und einen Bauch hatte, trat deutlicher hervor. Als Verlierer war Philip Goldman längst nicht mehr so gut aussehend.
    »Es heißt Peritoxamil«, sagte Goldman, »auch unter dem Namen –«
    »Cortomalaphrin bekannt«, sagte Shep bitter.
    »Wie bitte?«
    »Tut nichts zur Sache. Ein privater Witz.«
    »Es ist jetzt in der dritten Versuchsphase und sehr vielversprechend. Nicht bei Mesotheliom, aber es könnte einen Crossover-Effekt mit der Darmkrebstherapie geben. Nun, wie ich fürchte, ist Ihre Frau – zur Zeit nicht die passende Kandidatin, um an der klinischen Studie teilzunehmen, aber –«
    »Sie meinen, sie ist zu krank«, fuhr ihm Shep erneut ins Wort. »Da sie’s ohnehin nicht mehr lange macht, würde sie die schöne Statistik kaputt machen.«
    »Das ist hart ausgedrückt, aber –«
    »Ich drücke mich gern hart aus. Lassen Sie uns doch einfach bei der harten Ausdrucksweise bleiben.«
    Goldman warf dem Ehemann seiner Patientin einen nervösen Seitenblick zu. Shep Knacker war immer

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