Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
so fügsam gewesen, so kooperativ. Doch der Arzt hatte sicherlich sämtliche Reaktionen auf extreme medizinische Umstände schon erlebt, und vielleicht war Streitlust auch nur eine Standardvariation.
»Es ist so«, sagte Goldman, »wir können die Freigabe des Medikaments für Compassionate Use beantragen. Wir können erklären, dass wir das uns zur Verfügung stehende traditionelle Arsenal aufgebraucht haben. Ich gebe zu, es ist nicht mehr als ein Versuch, aber es ist alles, was uns noch bleibt. Um ehrlich zu sein, an diesem Punkt haben wir nicht mehr viel zu verlieren. Einen kleinen Nachteil hat die Sache aber.«
»Es fällt einem dabei der Kopf ab.«
Goldmans halbes Lächeln war erzwungen. »Keine Nebenwirkung – außer für Sie. Da Perotoxamil von der Behörde nicht zugelassen ist, wird Ihre Versicherung die Kosten nicht übernehmen.«
»Ah ja. Und wie viel soll dieses neue Wunderöl kosten?«
»Für einen Durchgang? Um die 100 000 Dollar. Glücklicherweise wird es in Kapselform verabreicht, insofern müsste Mrs Knacker für die Behandlung nicht herkommen.«
»Hunderttausend. Es gibt also ›nicht viel zu verlieren‹? Ich glaube, ich bewege mich nicht in Ihrem Einkommensspektrum. Ich hab das Gefühl, ich kann hier eine ganze Menge verlieren.«
Goldman wirkte verdutzt. »Es geht hier um das Leben Ihrer Frau –«
»Jim!«
Der Doktor warf ihm einen besorgten Blick zu. »Ich gehe davon aus, dass das Thema Geld bei Ihnen zweitrangig ist, wenn es denn überhaupt ein Thema ist.«
»Wenn ich jetzt also sage, es ist ein Thema, dann bin ich grausam veranlagt, ja? Aber selbst wenn ich mitspiele und sage, in Gottes Namen, Doktor, tun Sie alles, was Sie können, bombardieren Sie den Krebs mit der Küchenspüle – einer vergoldeten Küchenspüle –, ich liebe meine Frau, und Geld spielt keine Rolle. Selbst dann: Wie kommen Sie darauf, dass ich 100 000 Dollar habe ?«
»Oft kann man in solchen Fällen ein privates Darlehen aufnehmen. Mr Knacker, ich weiß, Sie stehen unter Stress, aber ihr aggressiver Tonfall macht mir Sorgen. Offenbar wissen Sie nicht zu würdigen, dass wir hier am selben Strang ziehen. Sie, Mrs Knacker und alle in dieser Klinik wollen schließlich nur dasselbe.«
»Ach ja? Und das wäre?«
»Selbstverständlich versuche ich das Leben Ihrer Frau so weit wie möglich zu verlängern.«
»Dann ziehen wir nicht am selben Strang.«
»Ach nein? Was ist Ihr Ziel?«
»Ihrem Leiden so bald wie möglich ein Ende zu machen.«
»Es ist wirklich Mrs Knackers Entscheidung, die Behandlung abzubrechen. Aber als ich ihr von Peritoxamil erzählte, klang sie, als wollte sie’s unbedingt ausprobieren. Selbstverständlich werden wir alles tun, damit es ihr gutgeht. Aber davon zu sprechen … nun, einfach zu planen, ein für allemal ihrem ›Leiden ein Ende zu machen‹, ist defätistisch.«
»Gut. Bin ich also ein Defätist«, verkündete Shep. »Ich gebe mich geschlagen. Ich gebe gern zu: Mesotheliom ist mir eine Nummer zu groß. Wenn das hier wirklich ein Kampf war«, gegen das Wetter , dachte er, »dann ist es jetzt vielleicht an der Zeit, die Waffen zu strecken. Und wenn es allein die Entscheidung meiner Frau wäre, ist mir auch klar, dass sie alles versuchen würde. Aber es ist nicht allein die Entscheidung meiner Frau, solange nicht sie es ist, die dafür zahlt.«
Goldman war deutlich verwirrt von diesen Worten. Immer wieder wandte er den Blick ab, verzog das Gesicht, zeigte unverhohlen seine Missbilligung und schlug gereizt gegen die Leertaste seiner Tastatur. Shep gewann den Eindruck, dass es befremdend und anstößig war, eine medizinische Entscheidung, egal von welcher Größenordnung, nach den Behandlungskosten zu treffen, anhand des Geldes, »nur des Geldes«, wie sein Vater sagen würde. »Ich möchte mich ganz klar ausdrücken, Mr Knacker. Dieses Medikament ist unsere letzte Hoffnung.«
»Ich bin gestern entlassen worden, Dr. Goldman. Ich habe gerade meinen Job verloren.«
Interessant war die subtile und doch merkliche Veränderung in der Haltung des Internisten, als ihm klar wurde, was dieser Umstand zur Folge hatte. »Das tut mir leid.«
»Das glaub ich Ihnen gern. Aber ich bin einfach zu oft zu spät zur Arbeit gekommen. Die Krankheit meiner Frau hat die Krankenversicherungsprämien meines Arbeitgebers beträchtlich in die Höhe getrieben. Als ehemaliger Leiter dieser Firma kann ich meine Entlassung aus der Belegschaft nur als clevere Geschäftsentscheidung loben.«
»Das ist aber
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