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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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ein so strebsamer Mensch dieser Sache anders stellen sollen? Und dann kommen Sie alle und legen noch einen drauf. Das hier ist kein Sackhüpfen, das hier ist Krieg. Der Kampf gegen den Krebs. Das Waffenarsenal , das uns zur Verfügung steht … Sie geben ihr das Gefühl, dass sie was tun muss, ein tapferer Soldat sein muss. Wenn sich ihr Zustand also dennoch verschlechtert, dann hat sie irgendwas nicht richtig gemacht: Sie hat unter Beschuss nicht genug Tapferkeit bewiesen. Ich weiß ja, Sie meinen es gut, aber nach dieser ganzen Kriegshetze setzen Sie das Sterben mit Unehre gleich. Mit Scheitern. Mit persönlichem Scheitern.« Zum ersten Mal hatte es Shep für sich ausformuliert.
    »Die Militärsprache ist nur eine Metapher«, sagte Goldman. »Ein Weg, medizinische Sachverhalte so zu schildern, dass der Laie sie nachvollziehen kann. Sie soll den Patienten nicht für das Ergebnis einer Therapie verantwortlich machen.«
    »Aber wenn Sie einerseits ihren Widerstand loben, glaubt Glynis, Sie gäben ihr in der Folge auch die Schuld, wenn die Therapie nichts bringt, verstehen Sie das nicht? Deshalb will sie ja auf keinen Fall aufhören. Deshalb können Glynis und ich über … im Grunde über gar nichts reden.«
    »Ich sehe keinen Grund, warum sie ›aufhören‹ sollte. Glynis – Mrs Knacker – schöpft aus ihrer Beharrlichkeit Mut. Da ich sie inzwischen etwas kenne, würde ich Ihnen eher dazu raten, meine Prognose für sich zu behalten.«
    »Ein Geheimnis mehr, was macht das schon aus?«, sagte Shep missmutig und ließ sich zurück auf seinen Stuhl plumpsen.
    »Ich denke nur daran, die Qualität ihrer restlichen Lebenszeit zu erhalten. Dafür zu sorgen, dass sie optimistisch bleibt.«
    »Aber wird sie’s denn nicht ohnehin schon wissen? Was in ihrem Körper vor sich geht?«
    »Sie würden sich wundern. Nicht unbedingt. Dennoch würde ich Ihnen empfehlen, ihre Familie und Freunde zu kontaktieren. Unterstreichen Sie, dass es hier nicht um Monate, sondern um Tage oder Wochen geht und dass sie den Besuch nicht zu lange hinauszögern sollten. Damit sie sich verabschieden können.«
    »Was bringt es denn, sich zu verabschieden, wenn man sich nicht verabschieden kann?«
    »Wie bitte?«
    »Na ja, wenn wir Glynis nicht Bescheid sagen, kann sich doch niemand verabschieden. Nicht mal ich kann mich dann verabschieden.«
    »Na ja, manchmal ist hasta la vista auch sehr herzlich, aber einfacher aufzunehmen. Und eigentlich sagen wir doch zu allen möglichen Leuten ›bis später‹, die wir nie wiedersehen werden.«
    »Stimmt wahrscheinlich«, sagte Shep widerwillig. »Vielleicht haben Sie recht, und Glynis will die Wahrheit über Peritoxamil nicht hören. Sie hat nämlich auch sonst nichts hören wollen, so viel ist sicher.«
    »Ich denke, ich verstehe, warum Sie auf Peritoxamil lieber verzichten würden. Aber Glynis war Feuer und Flamme. Wenn Sie dafür sorgen wollen, dass bei ihr alles im Lot bleibt, könnte ich auch ein Placebo aufschreiben.«
    Was wirklich hieße, dass man Glynis wie eine Zwölfjährige auf »Cortomalaphrin« setzen würde. Dass die letzten Tage seiner Frau eine einzige Täuschung sein sollten, deprimierte Shep mehr, als er in Worte fassen konnte. »Vielleicht. Ich würde mich bei Ihnen melden.«
    »Unterdessen halten Sie mich auf dem Laufenden, was ihren Zustand angeht, und setzen Sie sich mit mir in Verbindung, wenn Sie Rat brauchen.«
    »Es gäbe da etwas, das Sie tun könnten«, sagte Shep und senkte den Blick auf seinen Schoß. »Ich will wirklich nicht, dass sie im Krankenhaus stirbt. Aber ich will auch nicht, dass sie mehr leiden muss, als unbedingt nötig. Ich hätte gern etwas – um ihr das Ende zu erleichtern.«
    »Das Ende ist nie einfach. Es kann sehr unangenehm sein. In fachkundigen Händen hat sie bessere Chancen, dass für ihr Wohlergehen gesorgt ist.«
    Nachdem die Floskel mindestens drei Mal wiederholt worden war, hatte Shep genug. Vermutlich war Wohlergehen aus dem Mund eines Mediziners ein sehr dehnbarer Begriff.
    »Sind Sie sicher, dass Sie sich’s nicht noch mal überlegen wollen, mit dem Krankenhaus?«, drängte der Doktor. »Liegt Ihnen das wirklich so sehr am Herzen?«
    »Das tut es. Und ich glaube ehrlich, wenn sich Glynis jemals der Sache stellt und erkennt, was mit ihr passiert, wird sie’s genauso sehen.«
    »Schmerzmittel sind kontrollierte Substanzen. Die Behörde hat uns da genau im Blick. Aufgrund der Suchtgefahr kann ich nicht einfach nach Belieben Tabletten

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