Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)
Saguaro also sonst Werkzeug und Materialien beziehen sollen, wenn nicht von Forge Craft, die Konkurrenz war ja ausgeschaltet. Vielleicht sind Sie jetzt Ihrem eigenen Erfolg zum Opfer gefallen.«
Was Shep am meisten beeindruckte, war ihre Gelassenheit angesichts einer Reihe von Fragen, die das Unmögliche vollbringen und ein menschliches Leben mit einem Preisschild versehen wollten. Zu diesem Zweck nahmen sie sie in die Mangel: Wie hoch genau ihre Jahreseinkünfte aus der Kunstschmiedearbeit seien, und Glynis konnte ohne offensichtliche Beschämung die magere Ziffer angeben. Noch beleidigender war, dass sie wissen wollten, ob sie vor ihrer Krankheit eingekauft, welchen Anteil der elterlichen Pflichten sie bei Zach übernommen, wie viele Mahlzeiten sie durchschnittlich in der Woche zubereitet und sogar wie oft sie Wäsche gewaschen habe. Sie bemaßen den Wert des Lebens seiner Frau in Waschladungen mit heller und dunkler Wäsche. Einem jahrzehntealten Reflex folgend ertappte sich Shep bei dem Gedanken: Von diesem Zirkus muss ich unbedingt Jackson erzählen .
Glynis war einfach umwerfend. Sie ließ sich kein einziges Mal aus der Fassung bringen und blickte ihren Peinigern immer direkt ins Gesicht. Mystics Rat folgend hatte sie kein Make-up aufgelegt, und die vorwurfsvollen, gespenstisch eingefallenen Wangen, die mattgrün schimmernden Lippen, der nackte Schädel, der unter dem verrutschten Turban hervorschaute, lieferten eine eindringlichere Anklage gegen die Firmenprodukte aus den Siebzigerjahren als alles, was sie hätte sagen können.
Erst als sich das Verfahren formal dem Ende zuneigte und die Verteidiger der Gegenseite das Feld geräumt hatten, fiel Glynis in sich zusammen und rutschte von dem glatt polierten Tisch wie ein Schluck verschütteter Tee. Sie war so erschöpft, dass Shep sie regelrecht zum Auto tragen musste.
»Du warst ganz groß«, flüsterte er, und es hätte ihn gern mehr Mühe gekostet, fast ihr ganzes Gewicht zu stemmen.
»Ich hab’s für dich getan«, sagte sie undeutlich. »Und das Lügen? Hat mir Spaß gemacht.«
Als sie zu Hause waren, hatte sie von der stundenlangen würdevollen Haltung etwas zurückbehalten und weigerte sich, sich von ihm nach oben tragen zu lassen. Stattdessen kroch sie auf allen vieren die Treppe hoch. Mit je einer Verschnaufpause auf den beiden Treppenabsätzen brauchte sie für die fünfzehn Stufen eine halbe Stunde.
IN DEN PAUSEN während der Aussage hatte Shep immer wieder eine Nachricht auf Carols Mailbox hinterlassen; sie ging nicht ans Telefon. Als Glynis oben eingeschlafen war, versuchte er es erneut, und endlich ging sie ran. Bei ihrem ersten Anruf am Vorabend war sie noch hysterisch gewesen, jetzt war sie katatonisch. Die totale Monotonie ermöglichte immerhin den Austausch von Informationen. Sie war mit Flicka in die Küche gekommen. »Das werde ich ihm niemals verzeihen«, fügte Carol tonlos hinzu. »Das war Kindesmissbrauch. Und diesen Begriff verwende ich nicht einfach leichtfertig.« Wenig überraschend, war das Mädchen sofort in eine dysautonome Krise verfallen; »diese griesgrämige, flapsige Nummer von ihr«, sagte Carol, »ist alles nur gespielt. Kompensation. Sie kann mit Stress nicht umgehen. Jeder noch so unwichtige Test in der Schule, und sie ist nicht zu gebrauchen. Also kannst du dir ja vorstellen … Ich geb’s ungern zu, aber Flicka zu umsorgen, der Blutdruck, das Würgen – und da hätte ich fast mitgemacht –, na ja, es war eine Erleichterung. Mich auf die unmittelbaren medizinischen Bedürfnisse meiner Tochter zu konzentrieren, die noch fordernder waren als das, was Jackson getan hatte. Wahrscheinlich haben wir sie immer nur ausgenutzt … Anfangs als verbindendes Element, als gemeinsames Projekt, und später dann zur Ablenkung … Wir haben uns auf Flicka konzentriert, um uns nicht miteinander beschäftigen zu müssen.«
Während sie Flicka in aller Eile in die New-York-Methodist-Klinik fuhr, hatte Carol Heather angerufen, die noch in der Schule war. Sie hatte das jüngere Mädchen direkt in die Klinik bestellt, wo sie zu dritt die Nacht verbracht hatten. Flickas Zustand hatte sich stabilisiert, sie sollte wahrscheinlich am Abend entlassen werden. Carol hatte vor, mit den Mädchen zu einer Nachbarin zu ziehen. Den Berichten der Nachbarin zufolge waren unterdessen Polizei und Rettungswagen eingetroffen. Kaum verwunderlich, dass Carol das Haus auf keinen Fall noch mal betreten wollte. Shep versprach, bei nächster Gelegenheit
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